In Prag der Öffentlichkeit vorgestellt: Vertriebene zwischen Bayern und Böhmen im 20. Jahrhundert
Ein Augsburger Buchprojekt über die Vertreibung und die Integration der Sudetendeutschen liegt jetzt auch in tschechischer Übersetzung vor
Augsburg/KPP - Seit Sommer 2008 war am Augsburger Lehrstuhl für Bayerische und Schwäbische Landesgeschichte unter Leitung von Prof. Dr. Marita Krauss und Sarah Scholl-Schneider - inzwischen Junior-Professorin für Kulturanthropologie/Volkskunde an der Universität Mainz - an einem vom Bayerischen Sozialministerium geförderten Interview- und Dokumentationsprojekt über Sudentendeutsche in Bayerisch-Schwaben gearbeitet worden. Die Ergebnisse dieses Projekts wurden 2013 dann unter dem Titel „Erinnerungskultur und Lebensläufe. Vertriebene zwischen Bayern und Böhmen im 20. Jahrhundert – grenzüberschreitende Perspektiven“ im Münchner Volk Verlag publiziert. Eine von der tschechischen Bürgerinitiative „Antikomplex “ besorgte tschechischsprachige Ausgabe des 21 Beiträge versammelnden Bandes wurde jetzt in der Prager Repräsentanz des Freistaates Bayern in Anwesenheit des deutschen Botschafters und zahlreicher weiterer prominenter Gäste der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Erinnerung an die Vertreibung der Sudetendeutschen nach 1945, an ihre Ankunft in der neuen Heimat und an den langen Prozess der Integration wird getragen von den Menschen, die damals ganz neu beginnen mussten: Ihre Lebensläufe, ihre sozialen Netzwerke und ihre Traditionen prägen eine Erinnerungskultur, die nicht nur in das Familiengedächtnis, sondern auch in die öffentliche Wahrnehmung Eingang gefunden hat. Aber wie verändern sich die Erinnerungen? Wie erleben die Enkel den Bruch in ihrer Familiengeschichte? Wie erinnern sich die Tschechen an die "deutsche" Vergangenheit ihrer Wohnorte? Zwischen dem Aufnahmeland Bayern und den mittlerweile tiefgreifend veränderten Kulturlandschaften Böhmens und Mährens sind Erinnerungsräume entstanden, an denen die ehemaligen wie die heutigen Bewohner teilhaben. Ein Team teils arrivierter, teils studentischer Autorinnen und Autoren befragten ab 2008 in Bayern und in Tschechien Zeitzeugen und deren Familien, sie begaben sich auf Spurensuche in tschechischen und deutschen Archiven, und in dem daraus resultierenden Buch "Erinnerungskultur und Lebensläufe“, das vor drei Jahren im Volk Verlag erschienen ist, dokumentieren sie - u. a. auch mit privaten Fotografien und deren Geschichten - einen der prägendsten Migrationsprozesse der europäischen Nachkriegsgeschichte aus neuen und ungewöhnlichen Perspektiven. Zu einem Umdenken in der tschechische Gesellschaft beizutragen und sich um eine Gesellschaft, die sich aus wirklich freien und zugleich verantwortungsvollen Bürgern zusammensetzt, zu bemühen, nennt die tschechische Bürgerinitiative „Antikomplex“ als ihre Anliegen (
http://www.antikomplex.cz/de). In diesem Sinne hat „Antikomplex“ die Übersetzung des Buches "Erinnerungskultur und Lebensläufe“ ins Tschechische besorgt. Im Beisein des deutschen Botschafters in Prag, Dr. Arndt Freiherr Freytag von Loringhoven, wurde die tschechische Ausgabe am 11. Februar 2016 in der Repräsentanz des Freistaates Bayern in Prag vorgestellt. Begleitet wurde die Buchvorstellung von einer Diskussion über „Erinnerungen an die Heimat und Erfahrungen, die wir aus der Vergangenheit ziehen können“. Auf dem Podium saß neben den Herausgeberinnen Krauss und Scholl-Schneider und ihrem Mitautor Matěj Spurný, Ph.D. (Karls Universität Prag, Antikomplex) auch der stellvertretende Leiter des staatlichen tschechischen Instituts für das Studium totalitärer Regime und ehemalige Antikomplex-Direktor Ondřej Matějka. Vor den geladenen Gästen - unter ihnen auch Repräsentanten der Hanns-Seidel-Stiftung und des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds - gab sich die amtierende Direktorin von Antikomplex, Terezie Vávrová, davon überzeugt, dass das Buch in Tschechien das Wissen über die weiteren Lebenswege der nach 1945 Vertriebenen erweitern und das Verständnis für ihr Schicksal vertiefen werde. Marita Krauss ergänzt: „Dass unser Buch nun auch auf Tschechisch verfügbar ist, freut uns nicht zuletzt deshalb, weil diese Übersetzung die Intentionen, die hinter unserem Projekt standen, zweifellos enorm befördern wird.“ __________________________Publikationen: