Konfessionell, kooperativ, kontextuell
Ein Positionspapier von 163 Religionspädagoginnen und -pädagogen zu Weichenstellungen für einen zukunftsfähigen Religionsunterricht
Augsburg/EN/KPP - Vielfältige Pluralisierungsprozesse stellen die Gesellschaft vor die Frage, wie Zusammenleben weiterhin gelingen kann: „Unsere Gesellschaft braucht Menschen, die in der Religion begründet urteilen können, die religiös sprachfähig und dialogbereit sind. Der Religionsunterricht in der Schule leistet dazu einen wichtigen Beitrag“. So die Überzeugung der Augsburger Religionspädagogin Prof. Dr. Elisabeth Naurath, die zu den Initiatorinnen und Initiatoren eines jetzt veröffentlichten Positionspapiers zählt, das unter dem Titel „Konfessionell, kooperativ, kontextuell“ Weichenstellungen für einen zukunftsfähigen Religionsunterricht proklamiert. 163 Religionspädagoginnen und Religionspädagogen aus Forschung und Lehre treten mit diesem Positionspapier an die Öffentlichkeit in der Absicht, Schülerinnen und Schülern trotz der Veränderungen religiöser Zugehörigkeit die Chance auf eine zeit- und kontextgemäße religiöse Bildung zu geben. Entlang der programmatischen Leitbegriffe „konfessionell, kooperativ, kontextuell“ legen sie prinzipielle Weichenstellungen eines zukunftsfähigen Religionsunterrichts vor und leiten daraus Selbstverpflichtungen für die wissenschaftliche Bildung der künftigen Religionslehrerinnen und -lehrer an den Hochschulen und Universitäten ab. ____________________________________________ Der Religionsunterricht in Deutschland steht angesichts gesellschaftlicher, politischer und religiöser Transformationsprozesse vor neuen Herausforderungen. Die Zugehörigkeiten zu Religionen und Konfessionen verändern sich: Evangelische und katholische Schülerinnen und Schüler werden weniger, der Anteil konfessionsloser und muslimischer Schülerinnen und Schüler steigt. Zugleich ist Religion wieder ein öffentliches Thema geworden. Gesamtgesellschaftlich stellt sich die entscheidende Frage, wie das Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlichen kulturellen, religiösen und weltanschaulichen Hintergründen in guter Weise gelingen kann. Kinder und Jugendliche sehen sich dadurch herausgefordert, blicken aber optimistisch auf die Zukunft und zeichnen sich durch eine pragmatische Haltung auch im Bereich des Religiösen aus. Religiöse Bildung spielt in diesen Zusammenhängen eine wichtige Rolle. Insbesondere den Schulen kommt mit dem interkulturellen und interreligiösen Lernen eine besondere Verantwortung zu. Der Religionsunterricht hält die Frage nach Gott wach, bietet Identifikationsmöglichkeiten in der jeweils eigenen Tradition, ist dialogisch ausgerichtet und trägt durch die vernunftbasierte Auseinandersetzung mit Religion dazu bei, Schülerinnen und Schüler zu einem reflektierten Verhalten zu Religion zu befähigen und fundamentalistischen Tendenzen entgegenzuwirken. Im Religionsunterricht wird so gezeigt, wie Menschen heute in aufgeklärter Weise mit Religion und Glauben leben können. Er fördert die Fähigkeit, sich mit Anderen und Andersgläubigen angesichts von religiöser, kultureller und sozialer Vielfalt über religiöse Fragen auszutauschen und zu verständigen. Inmitten der Fragen nach dem, was zählt, nach Sinn und Glück werden Schülerinnen und Schüler in ihren Suchbewegungen ernst genommen, unterstützt und begleitet. Sie erhalten in einer religiös zunehmend pluralen Welt Orientierungshilfen und werden befähigt, im Austausch mit anderen zu einer eigenen Positionierung zu finden. Um diesen Zielsetzungen auch in Zukunft gerecht zu werden und den Religionsunterricht als Lernort zu stärken, ist es notwendig, diesen sowohl in konzeptioneller als auch in organisatorischer Hinsicht weiterzuentwickeln. Dazu sind alle am Religionsunterricht beteiligten Akteure aufgefordert: Die Kirchenleitungen genauso wie die staatlichen und schulischen Behörden, die wissenschaftliche Religionspädagogik genauso wie die Religionslehrkräfte vor Ort, die Schülerinnen und Schüler genauso wie die Eltern. Weil ein zukunftsfähiger Religionsunterricht auch davon abhängt, welche Konzepte und empirischen Vergewisserungen zur Verfügung stehen, sehen wir uns als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verpflichtet, diesem Anliegen in den eigenen Forschungen noch mehr Gewicht zu geben. Als Weichenstellungen eines zukunftsfähigen Religionsunterrichts zeichnen sich folgende Profilmerkmale ab, die gerade in ihrer Zusammengehörigkeit zugleich Entwicklungsperspektiven markieren: Der Religionsunterricht der Zukunft ist konfessionell. Der Religionsunterricht der Zukunft ist kooperativ. Der Religionsunterricht der Zukunft ist kontextuell. Diese drei Profilmerkmale des Religionsunterrichts erfordern gemeinsame, deutschlandweite Eckpunkte und Standards sowie die Ermöglichung von Gestaltungsspielräumen, welche einen konfessionellen Religionsunterricht in kooperativer Orientierung und kontextueller Abstimmung gewährleisten können. Unser Beitrag: religionsdidaktische Eckpunkte und Standards in Bezug auf die Konzeption und Organisation eines konfessionellen, kooperativen und kontextuellen Religionsunterrichts zu erforschen und sowohl in der Lehrer- und Lehrerinnenbildung als auch in der schulischen Praxis zu etablieren, in der ersten Phase der Lehrer- und Lehrerinnenbildung an den Hochschulen und Universitäten – wo möglich – verstärkt mit den Fachvertreterinnen und -vertretern der jeweils anderen Konfessionen und Religionsgemeinschaften sowie der Alternativfächer (Ethik-/Philosophieunterricht usw.) zu kooperieren Wege der Zusammenarbeit mit der jüdischen, der islamischen Religionspädagogik und den sich etablierenden Religionspädagogiken anderer Religionen sowie der Pädagogik/Fachdidaktik der jeweiligen Alternativfächer (Ethik-/Philosophieunterricht usw.) anzubahnen und auszubauen die wachsende Anzahl von Schülerinnen und Schülern, die keiner Konfession oder Religion angehören, bei der Entwicklung eines konfessionellen, kooperativen und kontextuellen Religionsunterrichts konstruktiv zu berücksichtigen. Das Positionspapier zum Download:
http://idw-online.de/de/attachment56061Das Positionspapier im Wortlaut:
In einem bekenntnisbezogenen, konfessionellen Religionsunterricht kommen religiöse Fragen und Themen so ins Spiel, wie es den Religionen in ihrer Eigenart als Lebensüberzeugungen entspricht. In der Begegnung und Auseinandersetzung mit den Lehrerinnen und Lehrern, die ihre religiöse Position in das Unterrichtsgeschehen einbringen, können die Schülerinnen und Schüler verstehen lernen, wie Christsein angesichts heutiger Lebensbedingungen möglich ist. Sie können den christlichen Glauben als mögliche Sinndeutung für ihre eigene religiöse Positionierung befragen und Unterstützung in der Bearbeitung ihrer Lebensfragen erfahren. Im bekenntnisbezogenen Religionsunterricht spiegelt sich wider, dass das Christentum in Konfessionen ausgeprägt ist und selbst individuelle Bezüge auf das Christentum – bewusst oder unbewusst – konfessionelle Akzentsetzungen aufgreifen. Dabei gilt es, die Vielfalt des Christlichen als Reichtum wach zu halten, ohne in traditionelle Muster der Konfessionalisierung zu verfallen.
Aufgrund der ökumenischen Ausrichtung des Christentums, der Notwendigkeit einer dialogischen Zusammenarbeit der Religionen und des religiösen Wandels ist die an vielen Schulen bereits mit Gewinn praktizierte konfessionelle Zusammenarbeit im Religionsunterricht weiter auszubauen, zu fördern und institutionell zu stützen. In verschiedenen kooperativen Lernformaten gilt es, gemeinsame Antworten angesichts drängender Gegenwartsfragen zu finden. Dies erfordert auch verstärkte Vernetzungen und kreative Zusammenarbeit mit den sog. Alternativfächern des Religionsunterrichts sowie mit dem Unterricht anderer Religionen. Ziel ist es, partnerschaftliche und dialogische Lernprozesse zu initiieren und Themen im interreligiösen Horizont zu erarbeiten.
Die Situation des Religionsunterrichts ist oft von Ort zu Ort, Region zu Region, Schulform zu Schulform und sogar Schule zu Schule unterschiedlich. Es ist daher erforderlich, bereits existierende regionale Konzepte als kontextbezogene Antworten auf die vielgestaltige Situation wahrzunehmen und anzuerkennen. Genauso wichtig ist es, religionsunterrichtliche Konzepte und Organisationsformen zu entwickeln, die eine Passung an die Gegebenheiten vor Ort ermöglichen. Ein Konzept, das Religionsunterricht primär in Abhängigkeit vom Zustandekommen genügend großer Konfessionsgruppen denkt, erweist sich aus Bildungsperspektive und aufgrund der skizzierten ökumenischen Erfahrung als nicht ausreichend.
Die hier Unterzeichnenden sehen ihren Beitrag darin,