Zukunft der Sprache, Zukunft der Nation?
An der Universität Augsburg diskutieren Forscherinnen und Forscher aus aller Welt über die Debatten um nationale jüdische Sprachen
Augsburg CR/MH – Rund 30 Forscherinnen und Forscher aus den USA und Israel, aus Tschechien, der Ukraine, Polen, der Schweiz, Rumänien und anderen europäischen Ländern gehen bei einer interdisziplinären Tagung vom 24. bis zum 26. September an der Universität Augsburg den Debatten um jüdische Nationalsprachen im Kontext von Mehrsprachigkeit und Nationbuilding nach. Die innerjüdische Sprachpolitik wird bei der Tagung in den Kontext der Sprachpolitik Österreich-Ungarns und Russlands gestellt. Es soll diskutiert werden, welche Faktoren für das Prestige einer (jüdischen) Sprache verantwortlich waren und wie versucht wurde, die Sprachen in der Schule zu unterrichten und zu verbreiten. Einige Vorträge werden der Frage nachgehen, welche Rolle Jiddisch und Hebräisch in der deutschjüdischen Literatur spielten und mit welchen unterschiedlichen Konzepten von „Nationalliteratur“ dabei operiert wurde. Dabei wird auch von der (jüdischen?) Sprachutopie „Esperanto“ zu sprechen sein, einer künstlich geschaffenen Sprache, die für alle gleichermaßen leicht zu erlernen sein sollte. Die Untersuchung bisher nicht berücksichtigter Quellen, wie etwa jiddische Autobiografien von Frauen, soll neue Perspektiven auf eine der wichtigsten innerjüdischen Debatten im frühen 20. Jahrhundert eröffnen. Ein besonderes Augenmerk wird der Frage nach der Bedeutung gelten, die der Sprachkonferenz in Czernowitz für die Entwicklung des Jiddischen zukommt. Die Tagung ist die Abschlussveranstaltung des seit zwei Jahren an der Universität Augsburg durchgeführten, interdisziplinären Forschungsprojekts „Die Nationalsprache der Juden oder eine jüdische Sprache? Die Fragen der Czernowitzer Sprachkonferenz in ihrem zeitgeschichtlichen und räumlichen Kontext“. Es wird geleitet von Prof. Dr. Bettina Bannasch (Professur für neuere deutsche Literatur) und Prof. Dr. Alfred Wildfeuer (Professur für DaZ/DaF und Variationslinguistik), wissenschaftliche Koordinatorin ist Dr. Carmen Reichert. Das Projekt wird finanziert durch die Staatsministerin für Kultur und Medien.
Dass zu einer Nation nur eine einzige Sprache gehört, war historisch nirgends und niemals der Fall. Bis heute hat sich dennoch die Idee einer Zusammengehörigkeit von Sprache und Nation als wichtiges Postulat unterschiedlichster nationaler Gruppen erhalten. Als vor dem Ersten Weltkrieg in Europa die nationalen Bewegungen erstarkten, diskutierten auch die Juden über eine gemeinsame Nationalsprache. Anders als die polnischen, tschechischen oder ukrainischen Nationalisten standen den jüdischen Nationalisten gleich zwei Sprachen zur Verfügung, die potenziell als Nationalsprachen dienen konnten: das Jiddische und das Hebräische. Ob man das eigene Kind in eine jiddische, hebräische, polnische oder russische Schule schickte, war nicht nur eine Frage von Berufsperspektiven, sondern auch eine politische Entscheidung. Ihren vorläufigen Höhepunkt fanden die Debatten um nationale jüdische Sprachen im Jahr 1908 bei der Ersten Jiddischen Sprachkonferenz in Czernowitz; das heutige Tscherniwzi in der Ukraine war damals noch Teil der Habsburgermonarchie und hatte einen hohen jüdischen Bevölkerungsanteil.
Bis heute wird die Geschichte einer Sprache meist in eben jener Sprache geschrieben, die Gegenstand der Untersuchung ist. Entsprechend wurden auch die zeitgleich zur Czernowitzer Sprachkonferenz in vielen (ost-)europäischen Sprachen stattfindenden Auseinandersetzungen um Nationalsprachen zumeist nur in der jeweiligen Sprache erforscht; selbst die Erforschung des Jiddischen und des Hebräischen erfolgte oft getrennt voneinander. Ziel der Tagung ist es unter anderem, Expertinnen und Experten aus aller Welt, die aus verschiedenen Perspektiven zu diesen Fragen gearbeitet haben, zusammenzubringen. Eingeladen wurden Vertreterinnen und Vertreter aus den Sprach-, Literaturwissenschaften, den Geschichts- und Erziehungswissenschaften. Von dem Austausch, der unterschiedliche Disziplinen und Forschungsansätze miteinander ins Gespräch bringt, ist eine Neubewertung der Entwicklung des Jiddischen und Neuhebräischen im Kontext der europäischen Sprachendebatten zu erwarten – und nicht zuletzt auch Impulse für aktuelle Debatten um Sprache und Nation.Tagungsprogramm
Prof. Dr. Efrat Gal-Ed (Düsseldorf) wird in ihrem Keynote-Vortrag über eine Idee sprechen, von der bis heute solche Impulse ausgehen könnten: Eine Gruppe von Dichtern entwarf die Idee des „Jiddischland“, einer Wortrepublik, die allem Gerede von Nationalkulturen zum Trotz ein völkerübergreifendes Europa mit einem transnationalen Denk- und Lebensmodus propagierte.Das Projekt
Die Veranstalter führen mit der Tagung auch die Themen fort, die zuvor in drei internationalen Workshops gemeinsam mit den germanistischen Partnerinstituten in Tscherniwzi (Ukraine) und Plzeň (Tschechien) und ausgewählten GastwissenschaftlerInnen sowie ihren ProjektpartnerInnen in Bayern, dem Bukowina Institut Augsburg (Prof. Dr. Maren Röger) und der Jiddisch-Dozentur an der LMU München (Dr. Evita Wiecki) diskutiert wurden: Fragen nach der Rolle des Idealismus in der Sprachendebatte, nach dem Beitrag von Frauen, der Bedeutung des Schulwesens in der Sprachenfrage.
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