Nano-Beben beschleunigen Wundheilung um bis zu 140 Prozent
Effekt von akustischen Oberflächenwellen auf die Zellmigration weiter gesteigert und an mehreren Zelltypen erfolgreich getestet
Augsburg/MH – Eine Entdeckung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Augsburg hat das Potenzial, die Wundheilung zu beschleunigen. Durch akustische Oberflächenwellen – das sind Schallwellen, die sich entlang von Flächen ausbreiten – bringen sie unter Laborbedingungen Zellen in Bewegung und regen das Zellwachstum an, wodurch sich Wunden schneller schließen. Bisher konnten die Forschenden an knochenähnlichen Zellen eine gesteigerte Wundheilung von 15 bis 20 Prozent nachweisen. Nun ist ihnen ein weiterer Sprung in der Forschung gelungen. In einer aktuellen Publikation im renommierten Journal PNAS (Proceedings of the national academy of sciences of the united states) zeigen sie, dass sie die angeregte Zellmigration sogar auf 130 bis 140 Prozent steigern konnten. „Ein weiterer Durchbruch ist, dass wir den Effekt auch bei anderen Gewebezellen wie beispielsweise Nierenzellen nachweisen konnten. Das ist ein Indikator dafür, dass der Effekt durchaus universell sein könnte“, meint der Biophysiker Dr. Christoph Westerhausen. Auf einem Chip wird an Elektrodenstrukturen eine elektrische Wechselspannung angelegt. Dadurch entsteht ein elektrisches Feld, das dazu führt, dass sich die Atome des Chips nahe der Oberfläche gegeneinander verschieben – es entsteht eine Wellenbewegung auf der Oberfläche. Diese durch ein Hochfrequenzsignal erzeugten „Nano-Beben“ lösen eine interessante Wechselwirkung mit den darauf sitzenden Zellen aus. Bei einer kontinuierlichen „Beschallung“ einer künstlichen Wunde steigt die Geschwindigkeit, mit der sich die Zellen im bewegen um bis zu 150 Prozent und beschleunigen dadurch das Verschließen einer Wunde signifikant im Vergleich zu Stellen, die nicht beschallt werden. Die Wellen bewegen sich mit einer Geschwindigkeit von 14.000 Kilometern pro Stunde und dringen dabei doch nur eine halbe Wellenlänge in das Zellmaterial ein. „Bei dieser Methode werden die Zellen mit den Schallwellen nur leicht ‚gekitzelt‘ und nicht mit Gewalt verschoben. Wir arbeiten hier also mit leisen und sanften Wellen“, sagt Westerhausen. Was den Biophysiker sehr freut, ist, dass in den letzten Jahren zu dieser Forschung neben dem Erstautor Manuel Brugger, der sich in seiner Doktorarbeit mit dem Thema beschäftigt hat, viele Studierende im Rahmen von Abschlussarbeiten beigetragen haben, was in eine Mitautorenschaft mündete. „Die mechanische Bewegung der Welle, wird auch durch ein sich mitbewegendes elektrisches Feld begleitet. In unserer neueren Forschung hat sich gezeigt, dass es mit großer Wahrscheinlichkeit die mechanische Komponente des Nano-Bebens ist, die dazu führt, dass die Zellen sich schneller Richtung Wunde bewegen. Das elektrische Feld, das ebenfalls erzeugt wird, spielt dafür eine untergeordnete Rolle“, so Westerhausen. Die Frage, wie sich der Effekt weiter erklären lässt, treibt die Forschenden aber weiter an. Daher hat das biophysikalische Forschungsteam mit dem Lehrstuhl für Biochemie von Prof. Regina Fluhrer an der Medizinischen Fakultät zusammengearbeitet, um besser zu verstehen, welche biochemischen Prozesse dabei ablaufen. So lässt sich auch die Rolle der Zellmembran untersuchen. „Künftig wollen wir gezielt die Adhäsionseigenschaft der Zellen modifizieren, also wie gut sie auf dem Chip haften“, erklärt Westerhausen. Eine weitere Erkenntnis der gemeinsamen Zusammenarbeit zwischen Biophysik und Biochemie zeigt, dass die Stimulation bei den Zellen nicht zu einem erhöhten Stresslevel führt. Denn chemische wie mechanische Einwirkungen oder andere Umwelteinflüsse können in Zellen zu erhöhtem „Stress“ führen, der sich darin zeigt, dass sich Sauerstoffradikale bilden. Bei der Beschallung mit akustischen Oberflächenwellen zeigten die Zellen keine solche Reaktion. Hier zeige sich auch, so Westerhausen, dass bei der Methode die Zellen nur sanft angeregt werden. „Wir kitzeln die Zellen nicht so stark, bis sie sich vor Lachen krümmen“. Aktuell findet die Grundlagenforschung unter Laborbedingungen statt. Anwendungsmöglichkeiten für die Technologie gäbe es viele, so die Forschenden. Der Chip, der die akustischen Oberflächenwellen erzeugt, könnte in Form eines biegsamen Materials hergestellt werden und z. B. in einem Pflaster die Wundheilung beschleunigen. Oder bei einer Hüft-OP könnte das Implantat entsprechend beschichtet werden, sodass der integrierte Chip von außen mit Energie versorgt werden könnte – wie bei RFID-Chips – und die Wundheilung nach dem Eingriff beschleunigen wird. „Das sind nur einige Szenarien, die vorstellbar sind“, so Westerhausen, „aber noch in der Zukunft liegen“.Nano-Beben auf dem Chip
Biophysik und Biochemie: den Ursachen des Effekts gemeinsam auf der Spur
Mikroskopaufnahmen der Wundheilung im Zeitrafferer (15 Stunden in 18 Sekunden)
Beschallung bringt die Zellen nicht in Stress
Von verbesserten Pflastern bis schnelleren Einheilung bei Implantaten
Aber auch intrazelluläre Mechanismen hat das Forschungsteam im Blick. Da sich die Migration von Zellen durch die „Nano-Beben“ beeinflussen lässt, könnten auch andere Prozesse stimuliert werden wie die Art und Weise, wie Zellen Stoffe in sich aufnehmen. Ein Einsatzgebiet bietet sich bei der Entwicklung von Medikamenten, spezieller bei der Suche nach neuartigen Wirkstoffen. Denn es gibt Wirkstoffe, die von den Zellen nicht über die Zellmembran aufgenommen werden. „Bei der Frage, was ein bestimmter Stoff in der Zelle selbst bewirken könnte, wenn er dort hineinkäme, kann unsere Forschung möglicherweise helfen“, so Westerhausen. Inwiefern die akustischen Oberflächenwellen die Zellhülle vorübergehend durchlässig machen können, erforschen die Wissenschaftler gemeinsam mit Pharmazeuten der LMU in München. Für dabei identifizierte neue Wirkstoffe könne anschließend eine geeignete Hülle entwickelt werden, damit dieser dann als Medikament leichter die Zellmembran durchqueren kann.
Die Erforschung und vielfältige Anwendung des Umstandes, dass sich Schallwellen wie „Nano-Beben“ an der Oberfläche eines Kristalls ausbreiten, wenn ein passendes Hochfrequenzsignal angelegt wird, gilt seit vielen Jahren bereits als international anerkannte Spezialität des Augsburger Lehrstuhls für Experimentalphysik I (Prof. Dr. Achim Wixforth). Sie wird in verschiedenen Kontexten – wie beispielsweise der Wundheilung – genauer erforscht.
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