Herzgesundheit – was gibt es Neues aus der Forschung?
Interview mit Prof. Dr. Philip Raake zum Weltherztag
Anlässlich des Weltherztages am 29. September gibt Prof. Dr. Philip Raake, Lehrstuhlinhaber Innere Medizin mit Schwerpunkt Kardiologie an der Medizinischen Fakultät der Universität Augsburg und Direktor der I. Medizinischen Klinik am Universitätsklinikum Augsburg einen Überblick zu den derzeitigen Trends in Diagnostik und Therapie von Herzerkrankungen. Er erklärt, woran in Augsburg in Sachen Herzgesundheit geforscht wird, und gibt Tipps für einen herzgesunden Lebensstil. Herzkrankheiten gehören zu den häufigsten Todesursachen weltweit. Der internationale Weltherztag am 29. September soll darauf aufmerksam machen und ein Bewusstsein für Herzgesundheit schaffen. Welches sind derzeit die häufigsten Erkrankungen am Herz? Sehr viele Menschen haben Vorhofflimmern, also eine Herzrhythmusstörung, die mit Thrombo-Embolien und Schlaganfällen assoziiert wird. Das kann isoliert auftreten, aber auch Folge einer anderen Erkrankung sein. Patientinnen und Patienten, die lange mit einem hohen Blutdruck leben, haben ein erhöhtes Risiko dafür. Auch Herzschwäche oder eine defekte Herzklappe können zu Vorhofflimmern führen. Herzschwäche an sich ist ebenfalls etwas, das uns im Alltag häufig begegnet. Dabei pumpt das Herz nicht mehr richtig. Die dritte Erkrankung, die wir sehr oft sehen, ist die koronare Herzkrankheit, also die sogenannte „Verkalkung der Herzkranzgefäße“. Die interdisziplinäre Forschung – sowohl im klinischen Umfeld als auch in der Grundlagenforschung – hilft uns, viele Aspekte dieser gut bekannten Erkrankungen besser zu verstehen. Wo stehen wir derzeit bei der Behandlung von Herzerkrankungen, was ist der neueste Stand? Sehr viel getan hat sich in den letzten Jahren bei medikamentösen Therapien. Wir haben jetzt mehrere neue, gut wirksame Substanzen zur „Blutverdünnung“ zur Verfügung. Diese bremsen die Blutgerinnung und sind z. B. für Patientinnen und Patienten mit Vorhofflimmern wichtig, weil sie dafür sorgen, dass die Entstehung von Blutgerinnseln weniger wahrscheinlich wird. Das kann Schlaganfälle und Infarkte verhindern. Spielt Prävention als Thema der Forschung eine Rolle? Zur Prävention wird ausdrücklich viel geforscht, hier liegt ein starker Fokus von Ärztinnen und Ärzten auf dem Senken des LDL-Cholesterin-Spiegels. Ein hoher Wert dieses Fettmoleküls erhöht das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Wir zielen auf einen Wert, der unter 55 Milligramm pro Deziliter Blut liegt bei Patientinnen und Patienten, die z. B. bereits einen Herzinfarkt hatten. Eine neue Methode, dafür sind siRNA-Therapien. Diese „small interfering RNA“ kann mit einem besonderen Zellmechanismus, bestimmte Signale in der Zelle ausschalten und damit die Cholesterinbildung hemmen. Für Patientinnen und Patienten ist diese Therapie sehr komfortabel: das Medikament wird ihnen zwei Mal jährlich ins Bauchfett gespritzt und sie müssen nicht täglich an eine Tabletten-Einnahme denken. An welchen Aspekten der Herzgesundheit forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Augsburg noch? An der Medizinischen Fakultät forschen wir sehr breit – von molekularer über klinischer bis hin zu epidemiologischer Forschung. Ein Thema, das uns am Lehrstuhl interessiert, ist die Interaktion von Thrombozyten und Leukozyten, also Blutplättchen und weißer Blutkörperchen. Da geht es um das Thema Umwelteinflüsse und inwiefern sie Blutgerinnsel hervorrufen. Hier in Augsburg führen wir mit dem Universitätsklinikum Augsburg das Herzinfarktregister, das seit vierzig Jahren Daten von Infarkt-Patientinnen und -patienten sammelt. In einem Projekt werten wir mit dem Lehrstuhl für Epidemiologie mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz diesen Datenschatz aus und entwickeln ein Projektionsmodell. Gibt es ein Leuchtturmprojekt? Eines unserer Leuchtturmprojekte ist ALERT-IST, das vom Innovationfonds des gemeinsamen Bundesausschusses mit 1,8 Mio. Euro für drei Jahre gefördert wird. Gemeinsam mit Elke Hertig, Professorin für Regionalen Klimawandel und Gesundheit, und Christian Hinske, Professor für Datenmanagement und Clinical Decision Support, entwickeln wir ein Modell, das den Bedarf an intensivmedizinischer Betreuung infolge von Umwelteinflüssen und Wetterphänomenen vorhersagt. Das Krankenhaus der Zukunft muss flexibler und anpassungsfähiger an extreme Hitze und Kälte sein, um seinen Versorgungsauftrag weiterhin erfüllen zu können. Noch in Planung ist eine Studie, bei der wir Patientinnen und Patienten, die einen Schlaganfall unbekannter Ursache hatten, mit einem Smart Device ausstatten, das über ein halbes Jahr lang zwei Mal täglich ein EKG schreibt, um herauszufinden, ob eventuell ein Vorhofflimmern den Schlaganfall verursacht. Wie haben sich die Behandlungsmethoden weiter entwickelt? Was sich enorm weiterentwickelt ist die Technologie, mit der wir Herz-Patientinnen und -patienten helfen. Ein verengtes Blutgefäß wird immer häufiger ohne das Einsetzen eines Stents geöffnet. Statt ein Drahtgeflecht-Röhrchen einzusetzen, wird die Engstelle mit einem Ballon geweitet, der außen mit einem Medikament beschichtet ist. Dieses geht direkt in die Gefäßwand und kann verhindern, dass das Gefäß an der Stelle erneut verengt. Diese Methode liegt im Trend und wird stetig verbessert. Auch wir haben hierzu bereits klinisch geforscht. Die Universitätsmedizin Augsburg ist der drittgrößte universitäre Herzinfarktversorger bundesweit und wir behandeln dementsprechend sehr viele Patientinnen und Patienten. Eine Methode, die ebenfalls stetig verbessert wird, ist die Katheter-basierte Versorgung einer Aortenklappenstenose – das ist eine Verengung einer der vier Herzklappen und einer der häufigsten Klappenfehler. Hier werden sowohl die verwendeten Instrumente als auch die Zugangswege zum Herzen immer kleiner, so dass die Patientinnen und Patienten deutlich schonender versorgt werden können. Ein ganz neues Medizinprodukt gibt es in Kürze zur Behandlung einer Mitralklappeninsuffizienz. Ist die Mitralklappe undicht, fließt Blut zurück in Richtung Lunge das Herz muss dann stärker arbeiten, um das zusätzliche Blutvolumen zu transportieren. Die Patienten verspüren oft ausgeprägte Atemnot. Bislang wurde diese Undichtigkeit mit Clips versorgt, die über einen Katheter an der Klappe befestigt werden. Nun sind Ersatzklappen verfügbar, die ebenfalls über einen Katheter angebracht werden. Neue Techniken gibt es auch bei der Behandlung von Herzrhythmusstörungen. Hier wird in der Regel Herzgewebe verödet, um zu verhindern, dass fehlgeleitete elektrische Impulse das Herz aus dem Takt bringen. Früher wurde mit Strom verödet, Standard seit einigen Jahren ist aber das Vereisen. Die neueste Methode ist nun die sogenannte „pulsed field ablation“, die statt mit hoher oder niedriger Temperatur mit elektrischen Impulsen verödet und gewebeschonender ist. Vor der Behandlung jedoch kommt die Diagnostik. Hier machen bildgebende Verfahren rasante Fortschritte. Engstellen in den Blutgefäßen werden immer mehr über einen sehr feinen Katheter, der ein Ultraschallbild macht, untersucht. Ein relativ neues Verfahren ist die optische Kohärenztomographie (OCT), die exakte Aussagen zu Veränderungen an den Herzkranzgefäßen ermöglicht. Mit der OCT lässt sich sehr gut beurteilen, wie gefährlich die Ablagerungen am Blutgefäß sind. Nach dem Einsetzen eines Stents können wir damit außerdem kontrollieren wie gut er sitzt und wie sich das Implantat entwickelt. Was können Menschen für ihre Herzgesundheit tun? Herzgesund leben heißt vor allem, sich viel zu bewegen. Das muss kein Marathon sein, eher eine leichte, aber kontinuierliche Belastung, drei bis vier Mal die Woche: etwas Rad fahren, Schwimmen, Nordic Walking – das bringt unglaublich viel, dazu etwas Krafttraining. Wichtig ist natürlich eine gesunde Ernährung: viel Gemüse und mediterrane Kost, Olivenöl, auch Nüsse sind sehr gut. Fleisch sollte man wenig essen und wenn, dann am besten Geflügel. Fisch ist mindestens einmal die Woche zu empfehlen. Genug trinken ist – wenn keine Herzschwäche vorliegt - essenziell und in Extremsommern die Hitze meiden. Man sollte auch daran denken, sich regelmäßig beim Hausarzt vorzustellen um in der zweiten Lebenshälfte sicher zu gehen, dass der Blutdruck gut eingestellt ist und kein Diabetes entsteht. Weiterhin ist zu empfehlen den Cholesterinspiegel im Blick zu haben und nicht zu rauchen. Übrigens können Smartwatches, die den Puls überwachen, ein Vorhofflimmern heute recht zuverlässig erkennen, in einem solchen Fall den Arztbesuch nicht aufschieben.
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