Erinnerungsarbeit vor Ort: Studierende erkunden NS-Vergangenheit und Gedenkstättenarbeit
Eine Exkursion führte Studierende der Universität Augsburg ins Diakoniedorf Herzogsägmühle nach Peiting. Dort erkundeten sie Spuren der NS-Vergangenheit der Einrichtung als Teil sogenannter „Zwangsfürsorge-Einrichtungen“ und untersuchten, wie diese Vergangenheit aufgearbeitet wird. Die Exkursion war Teil des Zertifikats „Praxisfeld Gedenkstättenarbeit“. Es gehört zum Sozialunternehmen Diakonie München und Oberbayern. Rund 1.000 Menschen mit und ohne speziellen Hilfebedarf leben und arbeiten in Herzogsägmühle zusammen. Viele der Bewohner haben eine herausfordernde Lebensgeschichte. Im Rahmen der Exkursion warfen die Studierenden einen Blick in einen der Betriebe des Diakoniedorfes: Sie besuchten die dortige Licht- und Wachsmanufaktur. Bereits im Vorfeld der Exkursion hatten sich die Studierenden mit dem seit 2024 in Herzogsägmühle laufenden Bildungsprojekt „Verachtet – Verfolgt – Vergessen: Die Opfer der NS-Gesundheitspolitik. Lernen für heute und morgen!“ beschäftigt. Im Rahmen des Projekts werden digitale und analoge Lernmodule und Bildungskonzepte entwickelt. Diese sollen vor allem Beschäftigten im Sozial- und Gesundheitswesen den historischen Kontext auf verständliche Weise zugänglich machen. „Unsere Studierenden haben im Vorfeld der Exkursion nach Herzogsägmühle vor allem die Frage erörtert, wie digitale Bildungs- und Erinnerungsarbeit funktionieren kann und konnten hilfreiche Rückmeldungen zur digitalen Lernplattform des Projekts geben“, sagt Prof. Dr. Dietmar Süß, Lehrstuhlinhaber Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Augsburg. Die Exkursion ins Diakoniedorf Herzogsägmühle fand im Rahmen eines Seminars statt, das als Teil des Zertifikats „Praxisfeld Gedenkstättenarbeit“ an der Universität Augsburg angeboten wurde. „In Kooperation mit der KZ-Gedenkstätte Dachau und anderen Einrichtungen der Region bekommen Studierende durch das Zertifikat ‚Praxisfeld Gedenkstättenarbeit‘ einen Einblick in Theorie und Praxis der Gedenkstättenarbeit. So können sie sich auf ein mögliches Berufsfeld vorbereiten. Sie erfahren Grundlagen der Geschichte bzw. Nachgeschichte des Nationalsozialismus und des Holocaust und erhalten praktische Einblicke in die Arbeit von Gedenkstätten“, erläutert Prof. Dr. Stefan Paulus, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte und Mitinitiator des Zertifikats. Das Zertifikat ist ein gemeinsames Angebot der Fächer Neuere und Neueste Geschichte, Europäische Ethnologie/Volkskunde und Verflechtungsgeschichte Deutschlands mit dem östlichen Europa an der Universität Augsburg. Sie bieten dafür regelmäßig gemeinsame Seminare und Exkursionen an. Die Betreuerinnen und Betreuer unterstützen die Studierenden des Weiteren dabei, ihre Kenntnisse durch zusätzliche Praktika oder Abschlussarbeiten zu vertiefen.
Wie geht das Diakoniedorf Herzogsägmühle in Peiting mit seiner NS-Vergangenheit als Teil der sogenannten „Zwangsfürsorge-Einrichtungen“ heute um? Um dieser und weiteren Fragen nachzugehen, trafen sich 10 Augsburger Studierende der Neueren und Neuesten Geschichte, der Europäischen Ethnologie/Volkskunde und der Verflechtungsgeschichte Deutschlands mit dem östlichen Europa am 11. Juli 2025 zu einem Seminartag im Diakoniedorf Herzogsägmühle.
Das Ziel der Exkursion war aber die Spurensuche, wo im heutigen Diakoniedorf die NS-Vergangenheit und die Erinnerung daran spür- und sichtbar sind und welche Erinnerungsarbeit aktuell vor Ort geleistet wird: So besuchten die Studierenden die Denkmäler, die auf dem Gelände an die NS-Vergangenheit und die Verstorbenen erinnern. Zudem besichtigten sie vor Ort die Ausstellung zur Geschichte von Herzogsägmühle. Auch die Gestaltung der künftigen Homepage des Erinnerungsortes wurde präsentiert und gemeinsam diskutiert.
Das Diakoniedorf Herzogsägmühle wurde zwischen 1934 und 1945 unter der Trägerschaft des sogenannten Landesverbandes für Wander- und Heimatdienst zum Instrument der NS-Gesundheitspolitik des ‚Ausmerzens‘ und fungierte als ‚Sammel- und Sichtungsstation‘ innerhalb eines Netzwerkes von Einrichtungen zwischen NS-Terrorapparat, Strafvollzug, Gesundheitsfürsorge und Psychiatrie. In dieser Zeit durchliefen 10.000 bis 12.000 hilfebedürftige Jugendliche und Erwachsene die dortigen sogenannten „arbeitsfürsorgerischen Maßnahmen“. Heute ist bekannt, dass mindestens 430 Männer den Aufenthalt nicht überlebten.Bildungsprojekt „Verachtet – Verfolgt – Vergessen“
Über das Zertifikat „Praxisfeld Gedenkstättenarbeit“
Mehr Informationen:
https://www.uni-augsburg.de/de/fakultaet/philhist/professuren/geschichte/neuere-und-neueste-geschichte/studium/zertifikat-praxisfeld-gedenkstattenarbeit/