TraFo Cuba: Transformationsforschung in Kuba
Projektstart
01.01.2019
Projektträger
Universität Augsburg
Projektverantwortliche
Prof. Dr. Matthias Schmidt
Dr. Andreas Benz
Dr. Niklas Völkening
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In Folge des Zusammenbruchs der Sowjetunion und des Rats für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) in den frühen 1990er Jahren geriet Kuba in die bislang schwerste Wirtschafts- und Versorgungskrise seiner Geschichte. Insbesondere das Ausbleiben der stark subventionierten Importe von Brennstoffen, Produktionsmitteln, Konsumgütern und landwirtschaftlichen Betriebsmitteln stellte die politische Führung vor erhebliche Herausforderungen. Das Land musste rasch und dringend neue Wege finden, ausländische Devisen zu erwirtschaften, um die unabdingbaren Importe zur Aufrechterhaltung der Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Gütern und der Wirtschaft mit Treibstoffen und Produktionsmitteln aufrecht erhalten zu können. Seit Beginn der im Jahr 1990 durch Staatspräsident Fidel Castro proklamierten wirtschaftlichen „Sonderperiode“ entwickelte die kubanische Regierung zahlreiche Ideen und Strategien und führte eine Reihe von Wirtschaftsreformmaßnahmen durch, die auf die Stärkung und den Ausbau von exportorientierten Sektoren - insbesondere die Extraktion mineralischer Rohstoffe (v.a. Nickel), den internationalen Tourismus und einige potentiell wettbewerbsfähige Landwirtschaftszweige (v.a. Tabak und Zigarren) - abzielten. Alle diese exportorientierten Sektoren sind gekennzeichnet durch eine intensivierte Nutzung und Kommodifizierung bestimmter Elemente der natürlichen Umwelt, seien dies aus dem Untergrund geförderte mineralische Ressourcen, die touristische Inwertsetzung der Schönheit von tropischen Stränden, Wäldern, Bergen und Landschaften, oder die landwirtschaftliche Nutzung der Boden- und Wasserressourcen.
Zugleich führten politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Reformen zu umfassenden Transformationen und wachsenden Disparitäten in Kuba. Dies betrifft unter anderem räumliche Strukturen (herausgeputzte, touristisch attraktive Innenstädte vs. verfallende Wohnquartiere), den Aufstieg und Fall von Wirtschaftssektoren oder eine zunehmende Spaltung der Gesellschaft in "Gewinner" und "Verlierer" der Transformation. Zur Untersuchung dieser Transformationsprozesse sowie ihrer Ursachen und Folgen, gründete sich im Januar 2019 die Arbeitsgruppe "TraFo Cuba" (Transformationsforschung in Kuba). Gründungsmitglieder sind Dr. Andreas Benz und Dr. Niklas Völkening. In ihren Arbeiten zu Transformationsprozessen in Kuba nutzen sie oftmals die Politische Ökologie als Analyserahmen. Die Politische Ökologie bildet mit ihrem Ansatz einer gesellschaftlich konstruierten und politisierten Natur einen zentralen theoretischen Anknüpfungspunkt, und stellt mit ihrer Akteurs- und Macht-zentrierten, multi-skalaren und historischen Perspektive einen geeigneten Analyserahmen bereit. Methodisch verfolgt TraFo Cuba in der Regel empirische, feldforschungsbasierte qualitative Ansätze, die an der Extended Case Methode orientiert sind, aber auch diskursanalytische Ansätze zur Aufdeckung absichtsvoller Konstruktionen und Repräsentationen von Natur mit einbezieht.
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Anbahnungsreise 2022
Im März 2022 unternahmen Prof. Dr. Matthias Schmidt und Dr. Niklas Völkening eine Anbahnungsreise nach Kuba. Ziel der Reise war es, die Zusammenarbeit mit kubanischen Partnern zu stärken, gemeinsame Projektideen zu entwickeln und neue akademische Kontakte zu knüpfen. Während der zehntägigen Reise wurden mehrere Universitäten und Forschungseinrichtungen besucht, darunter die Universidad de La Habana, die Universidad de Pinar del Río „Hermanos Saíz Montes de Oca“, die Universidad de Moa sowie das Instituto de Investigaciones del Tabaco (Tabakforschungsinstitut) von „Tabacuba“ in San Antonio de los Baños. Darüber hinaus wurden Prof. Schmidt und Dr. Völkening im Ministerio de Educación Superior (MES; Hochschulministerium) in Havanna von der Referentin für internationale Kooperationen empfangen.
Im Rahmen der intensiven Gespräche konnten mehrere Kooperationsvereinbarungen getroffen werden, die zukünftig in gemeinsame Projekte münden sollen. An der Universidad de La Habana konnte zudem das von der Hochschulleitung unterzeichnete „Memorandum of Understanding“ zwischen der kubanischen Universität und der Universität Augsburg in Empfang genommen werden. Der Austausch mit den kubanischen Kolleginnen und Kollegen war sehr anregend und intensiv, aber auch herzlich und vertraut. Bestehende Projektideen wurden weiter konkretisiert und neue Vorhaben besprochen.
Die Anbahnungsreise wurde von der Bayerischen Forschungsallianz (BayFOR) großzügig finanziell unterstützt.
Publikationen
Völkening, Niklas (2024): Identity, commodification and revolution: tourism and the transformation of society, politics and space in Cuba. BibTeX | RIS |
Benz, Andreas, Völkening, Niklas (2023): Kubanische Diskurse zu Umwelt und Entwicklung: das Framing des Klimawandels durch den kubanischen Staat. https://doi.org/10.14512/9783987262074 PDF | BibTeX | RIS | DOI |
Völkening, Niklas, Benz, Andreas, Schmidt, Matthias (2022): The transformation of tourism and urban space in Havana, Cuba. https://doi.org/10.1080/21568316.2021.1894598 PDF | BibTeX | RIS | DOI |
Völkening, Niklas (2022): Perestroika Cubana oder wirksame Reform? Die wirtschaftliche und soziale Entwicklung Kubas. BibTeX | RIS | URL |
Völkening, Niklas (2021): Sustaining a political system: new urban tourism in Cuba and related conflicts. https://doi.org/10.4324/9781003093923-9 PDF | BibTeX | RIS | DOI |
Benz, Andreas (2021): Das Ergrünen der Revolution: der Wandel des Naturbildes in Fidel Castros kubanischem Sozialismus. PDF | BibTeX | RIS |
Völkening, Niklas, Dürner, Mona (2021): Das Framing von Klimawandeldiskursen in Kuba. PDF | BibTeX | RIS |
Benz, Andreas (2020): The greening of the revolution: changing state views on nature and development in Cuba's transforming socialism. https://doi.org/10.14512/gaia.29.4.9 PDF | BibTeX | RIS | DOI |
Völkening, Niklas, Benz, Andreas (2020): Konkurrenzen in Kuba: Bergbau und Tourismus versus Umwelt- und Naturschutz. PDF | BibTeX | RIS | URL |
Völkening, Niklas, Benz, Andreas, Schmidt, Matthias (2019): International tourism and urban transformation in Old Havana. https://doi.org/10.3112/erdkunde.2019.02.01 PDF | BibTeX | RIS | DOI |
Völkening, Niklas (2017): Kubanische Identitäten im Spannungsfeld zwischen Cubanidad, Revolution und kapitalistischen Praktiken. PDF | BibTeX | RIS | URL |
Völkening, Niklas (2017): (Un-)bewusste Markenbildung im Tourismus? Die Inszenierung der kubanischen Revolution. https://doi.org/10.1007/s00548-017-0507-8 PDF | BibTeX | RIS | DOI |
Tagung "60 Jahre Kubanische Revolution: Kontinuität und Wandel"
Im Jahr 2019 jährte sich die Kubanische Revolution zum 60. Mal, und der Zerfall des sozialistischen Wirtschaftsraums lag annähernd 30 Jahre zurück. Beide Ereignisse bedeuteten tiefe Einschnitte in die kubanische Entwicklung und zogen weitreichende ökonomische, politische, sozio-kulturelle und ökologische Konsequenzen nach sich. Anlässlich dieser ‚runden‘ Jahrestage zogen wir auf der Tagung „60 Jahre Kubanische Revolution – Kontinuität und Wandel“ Bilanz, hielten Rückschau und wagten einen Ausblick in die Zukunft Kubas.
Mit über 40 internationalen Teilnehmerinnen und Teilnehmern blickten wir am 22. und 23. Februar 2019 aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven auf Transformationen in Kuba. Die anregende Keynote mit dem Titel "Kuba 60 Jahre Revolution: Legende, Wandel, Perspektiven" wurde von Dr. Thomas Ammerl vorgetragen und stimmte auf die Tagung ein.
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Kuba-Exkursionen
Große Exkursionen sind fester Bestandteil des geographischen Curriculums an der Universität Augsburg. In den Jahren 2017 und 2019 fanden jeweils große Exkursionen nach Kuba statt. Unter der Leitung von Prof. Dr. Matthias Schmidt, Dr. Andreas Benz und Dr. Niklas Völkening erkundeten je 26 Studierende während den zwölftägigen Exkursionen die karibische Insel. Dabei wurde ein breites thematisches Spektrum adressiert: Während gegenwärtige sozioökonomische Transformationsprozesse im Zentrum der Exkursionen standen, wurden auch politisch-ökologische und physisch-geographische Themen umfassend behandelt.
Beide Exkursionen starteten in Havanna, wo an mehreren Tagen die Themen Altstadtsanierung (in Habana Vieja), Staat und Gesellschaft sowie die Versorgungssituation in Kuba thematisiert wurden. Highlights waren der Besuch an der Universidad de La Habana, bei der Deutschen Botschaft und die Besichtigung einer Rum-Fabrik.
Große Exkursions "Kuba" 2017
Während der Exkursion im Jahr 2017 standen in den anschließenden Tagen zunächst die physische Geographie Kubas und Kulturlandschaften im Fokus. Im Tal von Viñales (westliches Kuba) wurden Wanderungen durch die beeindruckende Mogoten-Landschaft unternommen, eine Karst-Höhle erkundet (die Gran Caverna de Santo Tomás) und Konflikte zwischen Landwirtschaft und Naturschutz diskutiert. Nächste Station der Exkursion war Playa Girón – die Schweinebucht – an der kubanischen Südküste, wo die Geschichte der Revolution und ihre heutigen Folgen besprochen wurden. Über Cienfuegos ging es schließlich weiter nach Trinidad. Dort wurden die kubanische Kolonialgeschichte, und die historische Zucker- und Sklavenwirtschaft thematisiert. Bei einem Tagesausflug nach Topes de Collantes im Escambray-Gebirge beschäftigte sich die Exkursionsgruppe mit der bedrohten Biodiversität in Kuba. Als letzte Station stand Cayo Coco auf dem Programm, eine Insel in den Jardines del Rey („Gärten des Königs“). Hier konnten die Konflikte zwischen Tourismuswirtschaft und Umweltschutz eindrücklich beobachtet werden – in Form zahlreicher Hotelneubauten in ökologisch sensiblen Gebieten. Über Santa Clara und das dortige Mausoleum von Ernesto „Ché“ Guevara führte die Exkursionsroute schließlich wieder nach Havanna, wo die Exkursion endete.
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Hüttenübernachtung während des Aufstiegs auf den Pico Turquino
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Große Exkursion "Kuba" 2019
Die Exkursion des Jahres 2019 führte, nach dem Auftakt in Havanna zunächst ebenfalls über Playa Girón nach Trinidad, wobei das Tal von Viñales nicht besucht wurde. Nachdem an der Schweinebucht und in Trinidad die gleichen Themen wie 2017 diskutiert wurden, ergänzt um Kartierungs-Übungen und eine Stadtführung durch Trinidad, führte die Exkursionsroute anschließend über Camagüey in den Osten Kubas. Im sogenannten „Oriente“ Kubas ging es zunächst hoch hinaus: Im Gebirgszug der Sierra Maestra wurde der Pico Turquino in einer zweitägigen, kräftezehrenden Wanderung erklommen. Mit einer Höhe von 1.974 m ist der Pico Turquino der höchste Berg Kubas. Von seinem Gipfel aus stiegen die Augsburger Geograph:innen an die Südost-Küste Kubas ab und wurden von dort mit Jeeps nach Santiago de Cuba abgeholt. Hier standen am Folgetag die Themen Einzelhandel, Konsum und Religion auf dem Programm. Anschließend fuhr die Gruppe über Guantanamo weiter nach Baracoa. Die beiden Tage dort waren mit einer Wanderung durch den Humboldt-Nationalpark, empirischen Erhebungen sowie ein paar Stunden Baden im karibischen Meer gefüllt. Über Moa, wo die Nickelabbaugebiete besucht wurden, ging es anschließend weiter nach Gibara in der Provinz Holguín, wo die Exkursion mit einem Abschlussworkshop zu Ende ging.