Neo-Extraktivismus in Kuba – Transformation der Gesellschafts-Umwelt-Verhältnisse als Weg aus der Krise?
Projektstart
01.09.2019
Projektträger
Universität Augsburg
Projektverantwortliche
Prof. Dr. Matthias Schmidt
Dr. Andreas Benz
Niklas Völkening, M.Sc.
In Folge des Zusammenbruchs der Sowjetunion und des Rats für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) in den frühen 1990er Jahren geriet Kuba in die bislang schwerste Wirtschafts- und Versorgungskrise seiner Geschichte. Insbesondere das Ausbleiben der stark subventionierten Importe von Brennstoffen, Produktionsmitteln, Konsumgütern und landwirtschaftlichen Betriebsmitteln stellte die politische Führung vor erhebliche Herausforderungen. Das Land musste rasch und dringend neue Wege finden, ausländische Devisen zu erwirtschaften, um die unabdingbaren Importe zur Aufrechterhaltung der Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Gütern und der Wirtschaft mit Treibstoffen und Produktionsmitteln aufrecht erhalten zu können. Seit Beginn der im Jahr 1990 durch Staatspräsident Fidel Castro proklamierten wirtschaftlichen „Sonderperiode“ entwickelte die kubanische Regierung zahlreiche Ideen und Strategien und führte eine Reihe von Wirtschaftsreformmaßnahmen durch, die auf die Stärkung und den Ausbau von exportorientierten Sektoren - insbesondere die Extraktion mineralischer Rohstoffe (v.a. Nickel), den internationalen Tourismus und einige potentiell wettbewerbsfähige Landwirtschaftszweige (v.a. Tabak und Zigarren) - abzielten. Alle diese exportorientierten Sektoren sind gekennzeichnet durch eine intensivierte Nutzung und Kommodifizierung bestimmter Elemente der natürlichen Umwelt, seien dies aus dem Untergrund geförderte mineralische Ressourcen, die touristische Inwertsetzung der Schönheit von tropischen Stränden, Wäldern, Bergen und Landschaften, oder die landwirtschaftliche Nutzung der Boden- und Wasserressourcen.
Das Forschungsvorhaben untersucht anhand dieser drei zentralen strategischen Exportsektoren – dem Nickel-Bergbau, dem internationalen Tourismus und der Tabak- und Zigarrenproduktion – die Transformation der Gesellschafts-Umwelt Beziehungen. Zusätzlich soll der Zuckerrohranbau in die Betrachtung einbezogen werden, der ehemals über 90% der kubanischen Exporte ausmachte, in den 1990er Jahren jedoch einen fast völligen Zusammenbruch erlebte. Im Zentrum der Betrachtungen stehen die veränderte und intensivierte Nutzung und Inwertsetzung natürlicher Ressourcen sowie ihre Funktion zur Aufrechterhaltung und Stabilisierung des sozialistischen Staats-, Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells Kubas und seiner Errungenschaften. Das Vorhaben knüpft dabei an aktuelle Forschungen zu Neo- und Post-Extraktivismus im lateinamerikanischen Kontext an und möchte mit der Herausarbeitung der Besonderheiten des kubanischen Wegs des Neo-Extraktivismus einen Beitrag zu diesen konzeptionellen Debatten leisten. Die Politische Ökologie bildet mit ihrem Ansatz einer gesellschaftlich konstruierten und politisierten Natur einen zentralen theoretischen Anknüpfungspunkt, und stellt mit ihrer Akteurs- und Macht-zentrierten, multi-skalaren und historischen Perspektive einen geeigneten Analyserahmen bereit. Methodisch verfolgt das Forschungsvorhaben einen empirischen, feldforschungsbasierten qualitativen Ansatz, der an der Extended Case Methode orientiert ist, aber auch diskursanalytische Ansätze zur Aufdeckung absichtsvoller Konstruktionen und Repräsentationen von Natur mit einbezieht.