INspiRE Jean-Monnet-Centre of Excellence - Rechtsprechungskomplexe: Quelle-Rechtsprechung
Quelle-Rechtsprechung
Im so genannten Quelle-Verfahren befasst sich der BGH mit richtlinienkonformer Auslegung und Rechtsfortbildung nationalen Rechts. Insbesondere definiert er im zweiten Leitsatz die Voraussetzungen einer teleologischen Reduktion im Rahmen der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung. Konkret wird die Frage behandelt, ob ein Verkäufer beim Verbrauchsgüterkauf iSd § 474 Abs. 1 S. 1 BGB bei Ersatzlieferung einer neuen Sache einen Anspruch auf Herausgabe der gezogenen Nutzungen oder auf Wertersatz für Nutzungen der zuvor gelieferten mangelhaften Sache, aus § 439 Abs. 4 BGB (seit 1.1.2018 § 439 Abs. 5 BGB) iVm § 346 Abs. 1 BGB hat.
Dem EuGH wurde zur Vorabentscheidung die Frage vorgelegt, ob die Bestimmungen des Art. 3 Abs. 2 iVm Abs. 3 S. 1 und Abs. 4 oder des Art. 3 Abs. 3 S. 3 der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.5.1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (ABl. EG Nr. L 171, S. 12) dahin auszulegen sind, dass sie einem solchen Anspruch entgegenstehen.
Dies hat der EuGH bejaht. Der BGH berücksichtigte das Urteil des EuGH und stellte fest, dass § 439 Abs. 4 BGB (seit 1.1.2018: § 439 Abs. 5 BGB) im Wege der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung einschränkend angewandt werden muss und kein Anspruch auf Wertersatz für Nutzungen der mangelhaften Sache beim Verbrauchsgüterkauf im Falle der Ersatzlieferung besteht. Nur einen Monat nach Verkündung des Urteils reagierte der nationale Gesetzgeber mit einer Anpassung der Vorschriften im BGB. Gemäß § 474 Abs. 2 BGB (heute § 475 Abs. 3 BGB) besteht bei Ersatzlieferung im Rahmen eines Verbrauchsgüterkaufs kein Anspruch des Verkäufers auf Herausgabe von Nutzungen oder Ersatz ihres Wertes.
Zur Quelle-Entscheidung vergleiche auch Möllers, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl., München 2019, § 12 Rn. 58 ff., 62, 69, 71, 74, 110. Allgemein zur Methodik des Europarechts siehe Möllers, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. München, 2019, § 12.
Urteile
BGH, Urt. v. 26.11.2008, VIII ZR 200/05 – Quelle = BGHZ 179, 27-43; ZIP 2009, 176-181; NJW 2009, 427-431; BB 2009, 292-296; WM 2009, 316-321; ZGS 2009, 85-89; MDR 2009, 248-249; EuZW 2009, 155-159; JZ 2009, 518-522; VersR 2009, 1504-1508; EuR 2009, 790-795; JR 2010, 22-26
EuGH, Urt. v. 17.4.2008, C-404/06, EU:C:2008:231 – Quelle AG/Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände