Thomas Hausmanninger
Eine Begriffsklärung

 
 
1. Begriff:

M. ist eine normative Beschäftigung mit Medien unter moralischen Gesichtspunkten. Medien wiederum sind Instanzen der Vermittlung. Ihr Begriff kann entsprechend alles kennzeichnen, das Träger von Vermittlungsleistungen sein kann - von Verkehrsmitteln als Medien der Mobilität über Geld und Macht als entsprachlichten Medien gesellschaftlichen Handelns, Telefon und Fax als sprach- bzw./und bildvermittelnden Medien personaler Kommunikation bis hin zu Zeitungen, Film und Fernsehen als ´anonymen´, unmittelbare personale Kontaktnahme nicht erfordernden Vermittlern mindestens auch sprachlicher gesellschaftlicher Kommunikation. In der Regel wird als M. dabei lediglich die ethische Beschäftigung mit den letztgenannten, längere Zeit als „Massenmedien“ bezeichneten ´anonymen´ Vermittlungsinstanzen betrachtet; neuerdings tritt zu diesen noch die sowohl personale als auch ´anonymisierte´ Austauschprozesse ermöglichende Computerkommunikation, die jedoch meist unter dem Titel „Informationsethik“ behandelt wird. Den systematischen Gegenstand der m. Reflexionen bilden, wenngleich nicht immer explizit bewusst, die kommunikativen Funktionen der Medien, d.h. näherhin ihre informative, unterhaltende und kunstvermittelnde kommunikative Leistung. Befragt wird diese Leistung hin auf ihre Bedeutung für die individuelle Konstitution eines guten Lebens, ein gedeihliches Sozialverhalten (und entsprechende erzieherisch-bildende Relevanzen) sowie eine verantwortbare Entwicklung gesellschaftlicher und politischer Prozesse. Ziel der M. ist es dabei einmal, aufzuzeigen, dass und wie Medien ihre kommunikativen Funktionen in einer für die individuelle Selbstkonstitution und das gesellschaftlich-politische Leben förderlichen Weise erfüllen können, sowie zum anderen, dies durch entsprechende Normierungsvorschläge dauerhaft einlösbar zu machen.

 

2. Geschichte:

Die Geschichte der M. verzahnt sich mit der Geschichte der Medienentwicklung, der Sozialgeschichte und der politschen Geschichte. Diese Verzahnung ist zu großen Teilen reaktiv - M. reagiert auf Entwicklungen - und nur partiell innovativ - (meist implizite) M. treibt Entwicklungen voran. Anfänge m. Überlegungen finden sich mindestens seit der Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert. Bezieht man die Auseinandersetzung um Übergänge von der oralen Kultur mündlicher Erzähl- und Reflexionstraditionen zur Schriftkultur mit ein, lassen sie sich bis in die Antike zurückverfolgen: So wertet etwa Platon die Verschriftlichung äußerst kritisch, sieht durch schriftliche Aufzeichnungen - die ersten „Medien“ - die Gefahr des Schwindens von aktuell gewusstem Wissen sowie eines Verlust der Authentizität und Genauigkeit vermittelter Gehalte mit dem Effekt sozialgefährlicher Halbbildung und Fehlverstehens bei den Massen (hoi polloi) etc. (Phaedr. 275e; vgl. Slezák 1985). M. im modernen, auf Massenmedien bezogenen Sinn ergibt sich jedoch erst im 19. und 20. Jahrhundert. Bedingungsumfeld sind die neuzeitlich-moderne Wende zum Subjekt, die im Gefolge der Aufklärung geschehende konkrete und zunehmend allgemeine Einforderung der Subjektautonomie in Gestalt politischer Mitspracherechte, die allmähliche Verbesserung des Lebensstandards durch die Industrialisierung sowie die Durchsetzung der Alphabetisierung und der allgemeinen Schulpflicht in Europa und den USA um die Mitte des 19. Jahrhunderts: Mit der Wende zum Subjekt wird idealiter der Mensch schlechthin, unabhängig von allen seinen individuellen empirischen Bedingtheiten und Schichtzugehörigkeiten, Instanz der Weltkonstruktion und Weltbewältigung. Im Prinzip der Autonomie findet sich zugleich Kompetenz wie Recht auf individuellen Selbstentwurf und Mitgestaltung des gesellschaftlich-politischen Lebens grundsätzlich fixiert. Die auf Veränderung der empirischen Verhältnisse zielende aufklärerische Forderung öffentlichen Vernunftgebrauchs, der sozialgeschichtliche Umbruch von der Ständegesellschaft zur bürgerlichen Gesellschaft und die als politische Clubs, Kaffehauszirkel und Salongesellschaften sowie durch Zeitungen und Zeitschriften entstehenden bürgerlichen Diskursöffentlichkeiten, die politische Umschichtung von aufgeklärten Oligarchien zu demokratischen Gesellschaften mit allgemeinen Mitwirkungschancen und die Erweiterung der Öffentlichkeit zu einem alle Schichten einbeziehenden Raum sind daher systematisch von dieser ideellen Wende her zu verstehen. Historisch-faktisch zählen zu den Voraussetzungen hierfür jedoch ebenso die Hebung des Bildungsstandards sowie die daran gebundene Entwicklung kultureller, politischer und diskursiver Kompetenzen und Interessen, die erst im Gefolge der Durchsetzung von Alphabetisierung und Schulpflicht sowie flankiert von der allmählichen Verbesserung des Lebensstandards vermittels der Industrialisierung und ihrer sozialen Zähmung geschehen. Diese Entwicklungen erlauben es daher auch erst, dass ein Massenpublikum für Medien entsteht und neue Techniken sowie Medien sich wirksam etablieren können. Mediengeschichtliche Marksteine sind dabei die Erfindung mechanischer Drucktechniken im 19. Jahrhundert, der Wechsel der Tageszeitung vom Abbonnementvertrieb zum Straßenverkauf in den USA um 1895, die Heraufkunft der Massenliteratur (Kolportageroman, „Groschenheft“, „Dime Library“) nach der Mitte des 19. Jahrhunderts und die Entstehung des Films um 1895. Im 20. Jahrhundert sind zu nennen der Rundfunk (um 1900), das Fernsehen (um 1935), Video (wirksam ab den 80er Jahren) und die neuen Informationstechnologien (Computer, CD-Rom, WWW etc.; ab den 90er Jahren). M. wird in diesem Prozess zunächst weitgehend implizit im Rahmen pädagogischer, kunsttheoretischer, juristischer oder gesellschaftstheoretischer Diskurse betrieben. Sie spielt v.a. im aufklärerischen Kontext eine innovative Rolle: Die Forderung der „Freiheit der Feder“ steht als m. Desiderat in einem fortschrittlichen politisch-ethischen Kontext, dem auch die nach und nach geschehende Durchsetzung der Pressefreiheit in den sich demokratisierenden Staaten zuzurechnen ist. Im Gegenzug etablieren sich jedoch von Beginn an auch reaktive, auf die mediale Entwicklung und die politisch-sozialen Veränderungen ex post eingehende normative Diskurse, die im Rahmen einer allgemeinen Modernitätskritik vorgebracht werden. Ihre Forderungen richten sich in der Regel auf eine Beschränkung medialer Kommunikation und speisen sich meist aus rückwärtsgewandten Sehnsüchten nach überlebten sozialen und politischen Verhältnissen. In Deutschland stellt einen ersten großen Schub die Anti-Trivialliteratur-Bewegung im Rahmen der konservativen Kulturreformbewegung des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts (Kunstwartkreis, Dürerbund etc.) dar, die beinahe nahtlos in die Kinoreformbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts einmündet. Daran schließen sich jeweils bei Entstehung eines neuen Mediums Neuauflagen und Revitalisierungen der von diesen ersten beiden Bewegungen systematisierten medienkritischen und normativen Argumentationsformen an (Filmerziehung der 50er und 60er Jahre, W. Glogauer u.a. in den 80er und 90er Jahren). Weitgehend reaktiv bleiben auch die - gleichwohl auf einer grundsätzlichen Parteinahme für die Aufklärung und das emanzipative Potential des „Projekts der Moderne“ (J. Habermas) aufruhenden - medienkritisch-normativen Überlegungen der Kritischen Theorie und ihrer Fortschreibung (D. Prokop u.a.).
Seit dem Ausgang der 70er Jahre und befördert durch einige sensationelle mediale Entgleisungen (Gladbecker Geiseldrama, Benneton-Werbekampagne), die Einführung des Privatfernsehens in den 80er sowie die Expansion der Computerkommunikation in den 90er Jahren entsteht gleichwohl neben diesen impliziten m. Diskursen eine explizite M., die innerhalb der Philosophie, Kommunikationswissenschaft, Theologie und von Medienschaffenden selbst betrieben wird (H. Boventer, M. Haller, Th. Hausmanninger, G.W. Hunold, M. Rühl, St. Ruß-Mohl, U. Saxer u.a.). Sie siedelt sich zu großen Teilen jenseits rückwärtsgewandter, kontramoderner Sehnsüchte, aber auch jenseits des allgemeinen Pessimismus´ der Kritischen Theorie an. Ähnliche Entwicklungen finden sich in Frankreich, Italien und den USA. Eine bemerkenswerte Sonderentwicklung stellen dabei im frankophon-romanischen Raum die (teilweise noch implizit bleibenden) m. Diskurse der Postmoderne (J. Baudrillard, U. Eco u.a.) dar. In den USA wiederum zeigt sich von Beginn an eine stärkere Gewichtung der Freiheitsoption. Diese führt gleichwohl auch zu fallweisen Experimenten mit rigiden politisch-moralischen Beschränkungsmaßnahmen, die in der Regel entweder unmittelbar mit der politischen Geschichte und patriotischem Bewusstsein verbunden sind (Film-Code im II. Weltkrieg, McCarthy-Ausschüsse gegen „antiamerikanische Umtriebe“) oder von selbstorganisierten Teilöffentlichkeiten „demokratisch“ durchgesetzt werden (Comics-Code von 1954 bis 1971). Darüber hinaus weisen die m. Diskurse eine stärkere Verklammerung mit der Medienpraxis auf.
In der katholischen Kirche ermöglicht die Existenz des Lehramts bereits früh allgemeine normative (und so m.) Stellungnahmen, Weisungen und institutionelle Maßnahmen. Das früheste Dokument dürfte die Konstitution „Inter multiples“ (Innozenz VIII., 1485) sein, die das Institut der kirchlichen Druckerlaubnis (bzw. deren Verweigerung) als Instrument der Beschränkung medialer Kommunikation einführt. Hieran schließt sich eine lange Tradition reaktiver M. an, die sich im Umbruch zur Moderne aus kontramodernen, allgemein freiheitskritischen und regressiven Positionen speist und erst ab Leo XIII. anfangshaft (keine absolute Verwerfung der Medienfreiheit mehr) und dann seit Pius XII. nachhaltiger (Positivwertung der öffentlichen Meinung) zu einer allmählichen Wende findet. Erst Johannes XIII. jedoch nimmt die Kommunikationsfreiheit in den Katalog der Menschenrechte auf; ab dem II. Vatikanum ergibt sich dann eine intensivere modernitätsfreundliche ethische Wertung der Medien, die ihren theoretischen Ausdruck in verschiedenen Dokumenten („Inter mirifica“, „Communio et progressio“, „Aetatis novae“ etc.) findet.

 

3. Theorie:

Die m. Konzepte fallen unterschiedlich aus, je nachdem, welches Ethikverständnis zugrundegelegt und welche ´sachspezifischen´ Voraussetzungen gemacht werden. Für den deutschen Diskurs lässt sich dies wie folgt systematisieren: Ein rechtskonservatives, kontramodernes Konzept entwickelt sich herauswachsend aus der Anti-Trivialliteratur-Bewegung (G. Schulze u.a.), gewinnt durch die Kinoreformbewegung (K. Lange, H. Häfker, A. Hellwig u.a.) ihre grundlegende argumentative Gestalt, die von der Filmerziehung (M. Keilhacker, W. Hennig, L. Kerstiens, A. Neuhäusler, W. Tröger u.a.) ergänzt und durch Glogauer u.a. in die Gegenwart tradiert wird. Ausgearbeitet wird zunächst ein Set in erster Linie inhaltsbezogener medienkritischer Vorwürfe: Durch die Mediengehalte werde a) eine allgemeine moralische Primitivierung eingeleitet, die sich insbesondere als b) Sexualisierung und c) Kriminalisierung konkretisiere. Die Kinoreformer ergänzen dies durch den Vorwurf einer partiell hieraus entspringenden, partiell durch Sozialkritik verursachten d) gesellschaftlichen Destabilisierung; die Filmerziehung setzt an die Stelle dieses Vorwurfs den eines sozialgefährlichen Werteverfalls, während Glogauer u.a. von einer „Zerstörung der sozial-moralischen Grundlagen der Gesellschaft“ sprechen. Schlüssig gemacht werden diese Vorwürfe durch a) eine negative Anthropologie, die den Menschen als destruktiven Hedonisten („urzeitlicher Schlächter“, „Triebwesen“) und Moralität als lediglich kulturell-zivilisatorische Domestizierungsleistung dieser naturalen Basis zeichnet. Insofern jedes Ethos demnach contra naturam etabliert worden ist, gelten insbesondere die Revitalisierungen des Verdrängten, das Spiel der Medien mit den naturalen Strebungen des Menschen als gefährlich. Daneben erscheint b) insbesondere die „ungebildete Masse“ der „unteren Schichten“ als mangels zivilisatorischer Domestikation gefährdet und zudem als Brutstätte amoralischer Subkulturen. Schließlich wird d) den Mediengehalten qua Quantität eine Überschwemmungs- und Umerziehungswirkung unterstellt. Da in diesem Verständnis Ethik nur als (kognitive) Zähmung der Natur und Errichtung von Barrieren gegen die naturalen Strebungen erscheint, richtet sich die m. Normierung dann in erster Linie auf die Schaffung rechtsbewehrter Beschränkungen der inhaltlichen Medienproduktion. Im angelsächsischen Bereich finden sich - ohne direkte wirkungsgeschichtliche Beziehungen - Parallelen hierzu; kongenial formuliert in den 70ern etwa bei R. Goulart oder in den 80ern bei N. Postman.
Neben diesem Konzeptstrang zeigt sich ein im weiteren Sinn linksemanzipatives, modernitätsdialektisches bzw. postmodernes Konzept. In Deutschland grundgelegt wird es durch die Kritische Theorie, die ihre Modernitätskritik als Kritik der instrumentellen Vernunft entwirft: Gesetzt hat demnach die Menschheit ihre Hoffnung von Beginn an auf eine Überwindung der Natur durch deren vernünftig-instrumentelle Verzweckung, jedoch frühzeitig bereits die instrumentelle Perspektive zusätzlich auf sich selbst und die Gesellschaftsorganisation gewendet. Obschon zu Teilen eine Klasse der Herrschenden und Besitzenden von dieser Entwicklung noch profitiert, wird seit der Aufklärung und insbesondere durch den Kapitalismus die vernünftige Instrumentalisierung nicht nur zunehmend perfekter und perfider, sondern selbstläuferhaft und (letztgemessen am rationalen Ziel der Emanzipation) irrational. Medien werden in diesem Kontext Stützen des instrumentellen Systems, die der Profitmaximierung und Herrschaftsverschleierung einerseits, der Stillstellung möglicher Protest- und Revolutionsenergien andererseits dienen und den gegebenen Zusammenhang als den besten aller möglichen darstellen. Durch bleibende Parteinahme für die emanzipativen Hoffnungen der Aufklärung und Moderne entdeckt sich der Kritischen Theorie dieser Zusammenhang als entwürdigender; eine humane Lösungsperspektive scheint jedoch nur ex negativo in der Kunst „als Platzhalter“ verlorengegangener Humanität (Th.W. Adorno) auf. Entsprechend kann auch M. lediglich als Medienkritik vorgebracht werden, die durch Entlarvung des „unwahren Ganzen“, der „schlechten Totalität“ (Adorno) eine Ahnung des Besseren aufscheinen lässt. Daran anknüpfend, jedoch mit dem Wunsch, konstruktive Perspektiven aufzuzeigen, widmet sich die Kritische Pädagogik in den 70ern einer Dekonstruktion der „Manipulation durch Massenmedien“, insbesondere bei den Trivialmedien (Comics, Film, Boulevardzeitung, Werbung). M. Zielnorm ist mündiger Umgang mit den Medien und deren Nutzung zur gesellschaftskritischen Bewusstseinsarbeit (H. Giffhorn u.a.). In Frankreich entwickelt v.a. J. Baudrillard die Grundgedanken der Kritischen Theorie zu einer ethisch unterfutterten, aus einem unausgesprochenen Emanzipations- und Eigentlichkeitsideal lebenden postmodernen Medienkritik weiter, die das instrumentelle Gemächte und den adorno´schen „Verblendungszusammenhang“ nun als gigantische „Simulation“ rekonstruiert, in welcher Realität wie Subjekt ihrer Bedeutung, Identität und Authentizität verlustig gehen. Kongenial zur Kritischen Theorie werden konstruktive Perspektiven nicht mehr entworfen. Der Verlust des Subjekts und die Totalisierung eines selbstläuferhaften instrumentellen Verdinglichungsprozesses beschäftigt im angelsächsischen Bereich u.a. J. Weizenbaum, nun bezogen v.a. auf die Computerkommunikation und Künstliche Intelligenz. Wie verschiedene andere amerikanische Computerkritiker sucht Weizenbaum jedoch trotz seines der Kritischen Theorie verwandten, modernitätsdialektischen Ansatzes Lösungen durch Rückwendung auf vormoderne, antitechnische Authentizitäts- und Lebensformen und bewegt sich so gewissermaßen zwischen den beiden Strängen impliziter M..
Die explizite M. der Gegenwart nimmt partiell Theoreme dieser beiden großen Stränge auf, bietet im ganzen jedoch ein eigenständiges und relativ plurales Bild. Sie lässt sich entlang aufgenommener gesellschaftstheoretischer und ethischer Paradigmen systematisieren. So zeigen sich zunächst Bemühungen, die vorrangig individualethisch angesetzt sind und im weiteren Sinn aristotelisch-tugendethisch argumentieren. Themenbereich ist meist die journalistische Ethik, d.h. die informationelle Funktion der Medien, Ziel die Begründung und Detaillierung eines journalistisch-informationellen Ethos, das an Wahrheit, Transparenz, Fairness, Respekt vor den involvierten Personen etc. orientiert ist. Zentraler Vertreter einer aristotelisch-tugendethischen Orientierung in Deutschland ist H. Boventer. Im angelsächsischen Bereich spielen einerseits kommunitaristische Elemente in die Theoriebildung hinein (R. Barney, J. Black), andererseits sind die theoretischen Diskurse stark mit Bemühungen um „professional codes“ im Presse- und Computerbereich verwoben (L. Day, J. Iggers, M. Bugeja u.a.). - Einige Autoren versuchen zudem ausgehend von der Diskurstheorie und Diskursethik J. Habermas´ zu einer M. vorzudringen (B. Laux, W. Lesch, E. Arens). Der bislang großangelegteste Versuch von E. Kos (1997) nimmt dabei die interpersonale Kommunikation als eigentliches normatives Grundmuster und stellt die generelle m. Maxime auf, dass mediale Vermittlung stets (der Fortsetzung in) der allein authentischen personalen Kommunikation zu dienen habe. Dabei setzen sich im Rücken eine Prävalenz der informationellen Funktion der Medien und ein Eigentlichkeitsideal durch, das die unterhaltende und kunstvermittelnde Funktion verkürzen und ´einsam´-subjektzentriert bleibende Medienrezeption diskriminieren. Als einer der Wenigen versucht Kos (unter Aufnahme entsprechender Bemühungen der lehramtlichen Dokumente) den Aufschwung zu einer Theologie der Medien. - Einen scharfen Kontrast v.a. zu der individualethischen Ausrichtung bilden schließlich Theorien, die an die Systemtheorie von N. Luhmann anschließen und die Medien als ausdifferenziertes gesellschaftliches Teilsystem mit transpersonalen Gesetzlichkeiten betrachten. Entsprechende ethische Regelungen müssen daher jenseits des subjektiven Ethos in die Systemstrukturen selbst eingebracht werden bzw. als in diese eingebundene reflektiert werden (M. Rühl, U. Saxer). Die dabei entworfene Systemethik der Medien hat enge Verwandtschaften mit einem strukturethischen Zugang (Th. Hausmanninger, Th. Bohrmann), der Normen auf den drei Ebenen der rechtlichen Rahmenordnung (Verfassung, Gesetzgebung, internationale Organisationen), der institutionalisierten Selbstbindung (branchenspezifische Codes, transnationale Vereinbarungen) und des individuellen Ethos (Berufsethos) einbringen möchte. Im Unterschied zur Systemethik, die Moralität als Teil der Systemfunktionalität fassen möchte, misst der strukturethische Entwurf der Ethik eine Begründung eigenen Rechts und eine eigenständige, funktional nicht ausreichend rekonstruierbare normative Bedeutung zu. Während die Systemethik sich bislang weitgehend auf die informationelle Funktion der Medien beschränkt und als journalistische Ethik formuliert, widmet der strukturethische Zugang auch (und stärker) der unterhaltenden und kunstvermittelnden Funktion seine Aufmerksamkeit. Während diese Zugänge trotz ihrer im einzelnen gegebenen Differenzen immerhin darin übereinkommen, normative Konzepte zur regelnden Gestaltung der medialen Kommunikation sein zu wollen, zeigen sich neuerdings auch erklärt nicht-normative Zugänge. Diese treten entweder unmittelbar unter dem Signum der Metaethik auf (R. Leschke). Oder sie lassen sich dieser paradigmatisch zurechnen, weil sie sich in erster Linie auf die Beschreibung der Genese und des Schicksals von normativen Vorstellungen im Medienbereich zuwenden. Solche Zugänge entfalten etwa der Radikale Konstruktivismus (S.J. Schmidt), die Semiotik (P. Grimm) oder die Existenzialontologie (R. Capurro). - Unter den Begriffen „Cyberethik“ und „Informationsethik“ entstehen zudem derzeit m. Entwürfe, die sich v.a. auf die Computerkommunikation richten (S. Turkle, M. Sandbothe, W. Rauch, Th. Hausmanninger, R. Capurro, G. Bachleitner u.a.). Mitunter rückt dabei jedoch angesichts der Faszination durch demokratisierende Effekte (staatlich) unkontrollierbarer Kommunikation die Frage der moralischen Kontrolle und Gestaltung zugunsten eines emphatischen Plädoyers für Medienfreiheit etwas in den Hintergrund (Bachleitner u.a.). Hiergegen stehen - ähnlich emphatisch - gleichwohl auch kulturpessimistische (und oft eher imlizit m.) Positionen, die den Untergang von Kultur und Zivilisation im „Datenmüll“ und „digitalen Nirvana“ perhorreszieren sowie nicht selten in der Klage über das Versagen repressiver Maßnahmen im globalen Raum des Internet den Wunsch nach eben solchen erkennen lassen (R. Földy, B. Guggenberger u.a.). In enger Verklammerung mit den Nutzern der Computerkommunikation bildet sich gleichwohl auch ein Reflexionsprozess über Möglichkeiten der institutionalisierten Selbstbindung und der kommunikativen Stimulation individuellen Ethos´ heraus, der auf eine konstruktive m. Bewältigung der neuen Kommunikationsmöglichkeiten abstellt (Sandbothe, Capurro u.a.).

 

4. Praxis:

Entstammt dem Gefolge der Aufklärung in erster Linie die Durchsetzung von Freiheitsrechten und damit auch der Medienfreiheit, so sind es zunächst und längere Zeit v.a. die reaktiven, modernitätskritischen Diskurse, die Praxiswirksamkeit entfalten: Sie schlagen sich in rechtlichen Regelungen sowie institutionellem Handeln zum Schutz bestimmter Grundwerte und weiterer Wertvorstellungen im Bereich medialer Kommunikation nieder. In der deutschen Mediengesetzgebung und den Prüfkriterien von Institutionen wie der FSK, FSF und BPjS etwa sind daher noch immer Elemente der initialen Entwürfe der Kinoreformer spürbar, die das Württembergische Lichtspielgesetz von 1914 und auf dessen Grundlage das Reichslichtspielgesetz von 1920 mit hervorgebracht haben. Obschon dies auch als Anlaß zu einer Überprüfung gegenwärtig geltender Regeln aufgefaßt werden kann, bleibt ebenso zu vermerken, dass hierdurch über die bloße Freiheitseröffnung hinaus ebenso m. Desideraten entsprochen worden ist, die sich auch aus einer modernitätsfreundlichen Perspektive ergeben und begründen lassen - so entstammen z.B. Jugendmedienschutzregelungen primär diesen Diskursen. Praxiswirksam waren jedoch auch die linksemanzipativen Diskurse, die v.a. vermittelt über die Kritische Pädagogik eine mündigkeitsorientierte Medienpädagogik mitinitiiert haben. Neuere m. Entwürfe haben gleichfalls Praxiswirkung, insbesondere dort, wo sie in engem Kontakt bzw. Diskurs mit Medienschaffenden und medial Kommunizierenden zustandekommen. Der genannte m. Diskurs im WWW kann als aktuellstes Beispiel wie auch Bewährungsfeld hierbei betrachtet werden. Unabdingbar zur Praxiswirkung der M. ist zudem die kirchliche Medienarbeit zu rechnen, vermittelt nicht zuletzt über die AV-Medienstellen.

 

 
Literatur:

 

  • Adorno, Th.W.: Der Artist als Statthalter, in: Adorno, Th.W.: Gesammelte Schriften 11, Frankfurt 1974, 114-134
  • Adorno, Th.W.: Ohne Leitbild, Frankfurt 1967
  • Bachleitner, G.: Die mediale Revolution, Frankfurt u.a. 1997
  • Bacquet, A.: Médias et christianisme, Paris 1984
  • Barney, R., Black, J. (Hg.): Communitarian Journalism (= Journal of Mass Media Ethics, Special Issue), 1998
  • Baudrillard, J.: Videowelt und fraktales Subjekt, in: Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig 1990, 252-264
  • Baudrillard, J.: Die Simulation, in: Welsch, W. (Hg.): Wege aus der Moderne, Weinheim 1988, 153-162
  • Bohrmann, Th.: Ethik - Werbung - Mediengewalt, München 1997
  • Boventer, H.: Ethik des Journalismus, Konstanz 1984
  • Bugeja, M.: Living Ethics: Developing Values in Mass Communication, Boston 1995
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  • Day, L.: Ethics in Media Communications: Cases and Controversies, Belmont/Calif. 21996
  • Deussen, G.: Ethik der Massenkommunikation bei Papst Paul VI., Paderborn 1973
  • Fink, C.: Media Ethics, Boston 1995
  • Földy, R, Ringel, E.: Machen uns die Medien krank?, München 1993
  • Giffhorn, H.: Politische Erziehung im ästhetischen Bereich, Hannover 1971
  • Gill, K.S.: Information Society: New Media, Ethics and Postmodernism, London 1996
  • Glogauer, W.: Kriminalisierung von Kindern und Jugendlichen durch Medien, Baden-Baden 21991
  • Goulart, R.: The Assault on Childhood, London 1970
  • Grimm, P., Rota, F.: Semiotik: Die Semiotik und das Internet, in: Hausmanninger, Capurro, Netzethik, 107-122
  • Guggenberger, B.: Das digitale Nirvana, Hamburg 1997
  • Haller, M., Holzhey, H. (Hg.): Medien-Ethik, Opladen 1992
  • Horkheimer, M., Adorno, Th.W.: Dialektik der Aufklärung, Frankfurt 1971
  • Hausmanninger, Th.: Superman. Eine Comic-Serie und ihr Ethos, Frankfurt 1989
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  • Hausmanninger, Th.: Grundlinien einer Ethik der Unterhaltung, in: Wolbert, W. (Hg.): Moral in einer Kultur der Massenmedien, Freiburg 1994, 77-96
  • Hausmanninger, Th., Capurro, R. (Hg.): Netzethik. Grundlegungsfragen der Internetethik, München 2002
  • Hausmanninger, Th. (Hg.): Handeln im Netz. Bereichsethiken und Jugendschutz, München 2003
  • Holderegger, A. (Hg.): Ethik der Medienkommunikation, Freiburg u.a. 1992
  • Hunold, G.W.: Ethik der Information, in: Wolbert 1994, 31-49
  • Iggers, J.: Good News, Bad News, 1998
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  • Leschke, R.: Einführung in die Medienethik, München 2001
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  • Prokop, D.: Massenkultur und Spontaneität, Frankfurt 1974
  • Rühl, M.: Journalismus und Gesellschaft, Düsseldorf 1982
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  • Seib, P.: Campaigns and Conscience: The Ethics of Political Journalism, Westport/Conn. 1994
  • Shaw, C.: Deciding What We Watch: Taste, Decency, and Media Ethics in the Uk and the USA, Oxford 1998
  • Szlesák, A.: Platon und die Schriftlichkeit der Philosophie, 1985
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  • Weizenbaum, J.: Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft, Frankfurt 31982

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