Der Witz als literarisches Phänomen. Funktion und Ästhetik des Witzes am Beispiel ausgewählter Werke Heinrich von Kleists.
Der Fokus meiner Betrachtungen im ersten Teil der Arbeit liegt auf der Ästhetik des Witzes im Literarischen. In seiner ästhetischen Form verkörpert der Witz die Dialektik der Aktivierung und Inaktivierung von wortimmanentem Bedeutungspotenzial. Im Formen neuer Bedeutungsnuancen kommt es zur Verdrängung des gewöhnlichen Sinns. Es gilt hierbei mit Bezug zu Jean Pauls „Vorschule der Ästhetik“ zu analysieren, inwieweit die Bedeutungsvariabilität des Witzes und die damit einhergehende Verzerrung als typisch literarische Spezifika im Witz zum Ausdruck kommen. Auch die literarischen Funktionen der Unterhaltung, Entlastung vom Realitätsprinzip, Beschwichtigung von Ängsten, Sinnstiftung, Befriedigung der Mitteilungslust, Gesellschaftskritik und Selbsterkenntnis finden im Witz ihre Ausdrucksform.
Der zweite Teil wendet die vorangegangenen Erkenntnisse nun auf ausgewählte Werke Kleists an und erweitert die Untersuchung um die These, dass der Witz das Prinzip des Verschleierns und Enthüllens in sich verkörpert und damit einen wesentlichen Beitrag zu Kleists universeller Sprach- und Erkenntniskritik leistet. Die These basiert dabei hauptsächlich auf der Deutung des Sündenfalls im kleistschen Kontext. Der ursprüngliche Bruch mit dem Wort Gottes führt unausweichlich in die Ambiguität. Mehrdeutigkeit wird zum irdischen Kleid des Wortes. Die schamfreie Nacktheit des paradiesischen Zustands wird verkehrt zum Tabu der „nackten Wahrheit“, die der Verhüllung bedarf. Im Witz wird das Spiel mit dem Schleier, der Worthülle, in die sich die vermeintliche „Kernbedeutung“ kleidet, als ästhetisches Verfahren offenbar. Eine Analyse der Verhüllungstechniken bei Kleist mit fundierten Belegen zum Sündenfallbezug untermauert diese These.
Projektbetreuung:
Prof. Dr. Mathias Mayer