Marian Wright Edelman und der Children’s Defense Fund
Forschungsprojekt von Britta Waldschmidt-Nelson
From Civil Rights to Children’s Rights:
A History of Marian Wright Edelman and the Children’s Defense Fund
Im Zentrum dieses Forschungsprojekts stehen die schwarze Bürgerrechtlerin Marian Wright Edelman und der von ihr 1973 gegründete Children Defense Fund (CDF), eine Organisation mit dem Ziel, durch Forschung, politisches Lobbying und soziale Hilfsprogramme zu einer nachhaltigen Verbesserung der Lebensbedingungen von Kindern und Jugendlichen in den USA beizutragen.[1]
Für die Entstehungsgeschichte des CDF ist relevant, dass Edelman als Gründungsmitglied des Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) zu den zentralen Führungspersönlichkeiten der Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre zählte, 1965 als erste schwarze Frau die staatliche Anwaltsprüfung in Mississippi bestand und später Direktorin des NAACP Legal Defense and Educational Fund in Jackson, MS wurde. Neben der juristischen Arbeit engagierte sie sich auch beim Aufbau lokaler Hilfsorganisationen für Schwarze, wie der Child Development Group of Mississippi oder dem Head Start Programm, und knüpfte Kontakte zu Politikern in Washington, D.C., die ihre Arbeit unterstützten, darunter auch Senator Robert Kennedy. Im Herbst 1967 beteiligte sich Edelman an der Organisation der Poor People’s Campaign (PPC) und trug nach der Ermordung Martin Luther Kings im April 1968 entscheidend zu deren Realisierung bei, insbesondere als Liaison zwischen den Veranstaltern der PPC und den verschiedenen Regie-rungsbehörden. Aufgrund ihrer hierbei gemachten Erfahrungen kam sie zu der Überzeugung, dass man sich dem Ziel einer langfristigen Verbesserung der Situation notleidender Afro-amerikaner und anderer verarmter Bevölkerungsschichten in den USA nicht ohne den direkten Kontakt und eine konstruktive Zusammenarbeit mit den Regierungsinstitutionen in Washington, D.C. nähern könne.[2]
Folglich zog Edelman 1968 in die Hauptstadt und initiierte das Washington Research Project (WRP), welches die Effektivität der neuen Bundesgesetze im Bereich Rassengleichberechtigung und Sozialhilfe auf einzelstaatlicher und lokaler Ebene untersuchte. Allerdings führte die Bekanntmachung diesbezüglicher Missstände in den Berichten des WRP, vor allem wenn diese Afroamerikaner betrafen, nur in den seltensten Fällen zu deren tatsächlicher Beseitigung. Daraufhin gründete Edelman im Mai 1973 den Children’s Defense Fund in der Hoffnung, so vielleicht eine neue Koalitionsbasis für sozial-progressive Kräfte in den USA zu schaffen:
I’d learned the importance of being highly specific in my goals, and I got the idea that children might be a very effective means of broadening the base for change. The country was tired of the concerns of the sixties. When you talked about poor people or black people you faced a shrinking audience. That was really the beginning of looking at children and their unmet needs as a new way to build a coalition for social change.[3]
Martin Luther King, der in den letzten Jahren seines Lebens nicht nur für Rassengleichberechtigung, sondern auch immer entschiedener für Menschenrechte, Frieden und soziale Gerechtigkeit eingetreten war, hatte seine Mitstreiter oft dazu aufgerufen, für die Interessen derer zu sprechen, die schwach und stimmlos sind, „to be a voice for the voiceless“.[4] Notleidende Kinder sind eine besonders „stimmlose“ Gruppe, denn sie können weder wählen noch ihre Anliegen selbst formulieren oder sich organisieren. Indem Edelman mit Hilfe des CDF das gesellschaftliche Interesse für das Wohlergehen der heranwachsenden Generation zur Schaffung einer breiteren Basis für soziale Gerechtigkeit zu nutzen sucht, verfolgt sie letztendlich das gleiche Ziel wie King.[5] Der CDF kann darum – so eine zentrale These des Projekts – als eine direkt aus dem Geist der schwarzen Bürger- und Menschenrechtsbewegung entstandene Organisation verstanden werden. Diese versucht, alte Ziele mit neuen Mitteln und Methoden weiter zu verfolgen, nachdem sich die politischen und gesellschaftlichen Einflussmöglichkeiten der klassischen Protestmaßnahmen der Bewegung (wie Boykotte, Sit-Ins, Protestmärsche und andere Demonstrationen) erschöpft hatten. Der CDF ist somit ein besonders markantes Beispiel für die Institutionalisierung der sozialen Bewegung der 1960er Jahre.
Mittlerweile gehört der CDF zu den renommiertesten Organisationen für Kinderwohlfahrt in den USA, und Edelman wurde als dessen Präsidentin u.a. mit dem Albert Schweitzer Prize for Humanitarianism und der Presidential Medal of Freedom ausgezeichnet. Trotzdem gibt es bislang weder ein wissenschaftliches Werk über den Children’s Defense Fund noch eine historisch fundierte Biographie Marian Wright Edelmans. Die Forschungsergebnisse des Projekts werden einen Beitrag zur Schließung dieser Forschungslücke leisten. Hierbei soll zum einen die oben vorgestellte These belegt werden (z.B. durch Anwendung von Theorien zu sozialen Bewegungen und politischer Mobilisation von Aldon Morris, Doug McAdam und Belinda Robnett[6]), zum anderen soll ein umfassender Überblick über den Aufbau, die Aktivitäten und Programme des CDF geschaffen werden, der wiederum eine Analyse von deren Funktion ermöglicht.
Im Kern der Untersuchung wird die politische Arbeit des CDF stehen, sowohl im Hinblick auf die Kooperation mit anderen Non-Governmental Organizations (z.B. schwarze Kirchen oder Lehrerverbände) als auch auf die oft enge, aber nicht immer konfliktfreie Zusammenarbeit mit dem Congressional Black Caucus (CBC) und anderen progressiven Abgeordneten und Senatoren. Ein nicht zu vernachlässigender Aspekt liegt auch in der Bedeutung der CDF-Publikationen, beispielsweise dem Monatsheft CDF Reports, dem Jahresbericht The State of America’s Children, oder der seit über 30 Jahren regelmäßig erscheinenden CDF-Übersicht über das Abstimmungsverhalten der Kongressmitglieder. Weiter stellt das Verhältnis des CDF zur jeweiligen Exekutive – von Nixon bis zu Trump – ein spannendes Gebiet dar. Darüber hinaus sollen die diversen sozialen Hilfsprogramme und Initiativen untersucht werden, die der CDF durchführt bzw. durchgeführt hat (z.B. die Black Community Crusade for Children, und das sehr populäre, sogar teilweise mit staatlichen Mitteln geförderte CDF Freedom Schools Programm).
Mein Ziel ist es, die Vorgehensweise Edelmans und die Bedeutung des CDF auch im Hinblick auf deren langfristige Effektivität zu evaluieren und festzustellen, ob und inwieweit der Children‘s Defense Fund (mit seinen über 100 Mitarbeiter/innen, 15 Zweigstellen in Einzelstaaten und einem Jahresbudget von rund 20 Millionen Dollar), in den letzten viereinhalb Jahrzehnten tatsächlich zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen bedürftiger Kinder in den USA beitragen konnte. Durch die Auswertung der relevanten Sekundärliteratur und Primärquellen, z.B. der eigenen Publikationen des CDF, Material aus dem Archiv der Organisation, interner und externer Studien, statistischer Daten, und Gesetzesänderungen, sowie oral history–Interviews soll versucht werden, die langfristige Effektivität der Vorgehensweise Edelmans bzw. der verschiedenen CDF-Initiativen zu evaluieren.
Als erste Publikation der Forschungsergebnisse ist eine Biographie über Marian Wright Edelman geplant, für die bereits einen Vertrag mit dem US-Verlag Roman & Littlefield abgeschlossen wurde, der dieses Buch in seine renommierte Serie „African American Biographies“ aufnehmen möchte. Diese Biographie wird neben dem persönlichen Leben von Edelman auch eine Untersuchung der Geschichte und Bedeutung des CDF beinhalten, da dieser Edelmans Lebenswerk darstellt und bis heute den Alltag der 1939 geborenen Aktivistin bestimmt. Weitere Publikationen für den Bereich Organisationsgeschichte, die sich ganz auf die Arbeit, Aufbau, Aktivitäten und Programme des CDF während der letzten vier Dekaden konzentrieren, sind vorgesehen; auch im Hinblick auf eine Einordnung des CDF in den historischen Kontext klassischer Kinderwohlfahrtsverbände in Nordamerika.
[1] Vgl. die Selbstdarstellung des CDF auf dessen Homepage: http://www.childrensdefense.org/.
[2] Vgl. Edelmans Kommentar: “I’d realized that if you were going to change things in Mississippi, you had somehow to affect federal policy. [… Congress] that’s where the basic decisions are made that affect communities – in guidelines and day-to-day implementation and there was nobody policing that for the poor or black people.” Zit. in Joyce Teitz, What’s a Nice Little Girl Like You Doing in a Place Like This? (New York, 1972), 62. S. auch James Marshall, Student Activism and Civil Rihts in Mississippi (Baton Rouge, LA, 2013).
[3] Edelman zit. in Calvin Tomkins, „Profiles: Marian Wright Edelman“ New Yorker, 27.3.1989, 67.
[4] Vgl. z.B. Martin Luther King, Jr. The Trumpet of Conscience (New York, 1968); Gerald McKnight, The Last Crusade: Martin Luther King, Jr., the FBI, and the Poor People’s Campaign (Boulder, CO., 1998), und Harvard Sitkoff, King: Pilgrimage to the Mountaintop (New York, 2008).
[5] Vgl. die Aussage: “[Our] mission is to ensure every child a Healthy Start, a Head Start, a Fair Start, a Safe Start and a Moral Start in life and successful passage to adulthood with the help of caring families and communities. CDF provides a strong, effective and independent voice for all the children of America who cannot vote, lobby or speak for themselves.” S. http://www.childrensdefense.org/.
[6] Vgl. Morris, The Origins of the Civil Rights Movement (New York, 1984), McAdam, Political Process and the Development of Black Insurgency (Chicago, 1999), Robnett, How Long? How Long? African-American Women in the Struggle for Civil Rights (New York, 1997).