Briefmarkenserie: Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus
Im November wurde die erste Briefmarke aus der neuen Sonderpostwertzeichenserie „Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus“ ausgegeben. Das Institut für Zeitgeschichte München–Berlin hat das Bundesfinanzministerium bei der Konzeption der Reihe beraten. Die neue Marke ehrt die Pädagogin Elisabeth von Thadden, die 1944 in Berlin-Plötzensee hingerichtet worden ist. Die wissenschaftliche Beratung hat die stellvertretende IfZ-Direktorin Martina Steber übernommen und den begleitenden Text zum Sonderpostwertzeichen verfasst. Darin würdigt sie von Thadden als eine Persönlichkeit, die „dem nationalsozialistischen Rassismus wertegeleitetes Handeln und Menschlichkeit entgegen“ gesetzt habe und konsequent „einen Weg der Selbstbehauptung, Pflichterfüllung und Zuwendung zum Mitmenschen, geleitet von ihrem christlichen Glauben und von protestantischen Werten“ gegangen sei. Die neue Briefmarkenserie geht auf einen Beschluss des Deutschen Bundestags zurück. Über einen Zeitraum von zehn Jahren wird jedes Jahr eine neue Briefmarke erscheinen, um Widerstandskämpferinnen gegen den Nationalsozialismus zu ehren. Erhältlich ist die Briefmarke mit einem Wert von 85 Cent in den Verkaufsstellen der Deutschen Post-AG. Elisabeth von Thadden, 1890-1944 Bis zu ihrem gewaltsamen Tod im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee am 8. September 1944 verfolgte Elisabeth von Thadden konsequent ihren eigenen Weg – einen Weg der Selbstbehauptung, Pflichterfüllung und Zuwendung zum Mitmenschen, geleitet von ihrem christlichen Glauben und von protestantischen Werten. Geboren 1890 in die adelige ostpreußische Familie Thadden-Trieglaff und zeitlebens einem nationalkonservativen Weltbild verpflichtet fand sie ihre Lebensaufgabe in der protestantischen Frauen- und Mädchenbildung. Bereits früh musste Elisabeth von Thadden nach dem Tod der Mutter 1906 Verantwortung für die Familie und die Verwaltung des Guts übernehmen. Die engen Kontakte der Thadden-Trieglaffs in die adelige und bürgerliche Elite Preußens brachten die junge Elisabeth von Thadden in Berührung mit der protestantischen Sozialreform, namentlich des Kreises um Pfarrer Friedrich Siegmund-Schultze und die „Soziale Arbeitsgemeinschaft“, die auf die Überwindung der politischen Gegensätze zwischen Konservatismus und Sozialdemokratie zielte. Mit dem Pazifisten, ökumenischen Vordenker und Sozialreformer Siegmund-Schultze verband von Thadden eine lebenslange Freundschaft, die auch nach 1933 Bestand hatte, als der Regimegegner im politischen Exil in der Schweiz lebte. Die Erfahrung des Ersten Weltkriegs grub sich tief in das Denken der nationalkonservativen von Thadden ein: Die Idee einer Überwindung aller Klassengegensätze in der „nationalen Volksgemeinschaft“ leitete ihre politischen Überzeugungen und stellte – wie für viele Konservative – ideale Anschlussmöglichkeiten an die nationalsozialistische Ideologie bereit. Während des Ersten Weltkriegs engagierte sie sich für die Projekte Siegmund-Schultzes: 1917 beteiligte sie sich an der Organisation der Kinderlandverschickung, vor allem aber kümmerte sie sich von 1918 bis 1920 um die Organisation der jährlichen „Trieglaffer Konferenzen“, welche die Soziale Arbeitsgemeinschaft in Kooperation mit ihrem Vater, Landrat Adolf von Thadden, auf dem Gut der Familie veranstaltete. Sie zogen bis zu 150 Männer und Frauen aus der (ost)preußischen Elite an und suchten einen Brückenschlag über die politischen Lager hinweg. Vor allem zielten sie auf die Etablierung eines Dialogs zwischen Konservatismus und Sozialdemokratie, der nach der Novemberrevolution 1918 den alten preußischen Eliten umso dringlicher erschien. Trieglaff stand für die vorsichtige Öffnung des preußischen Konservatismus zur Demokratie, die allerdings durch die rasante Polarisierung des politischen Spektrums in den ersten Jahren der Weimarer Republik jäh zunichte gemacht wurde. Als ihr Vater 1921 ein zweites Mal heiratete, musste Elisabeth von Thadden das Gut verlassen und sich in Berlin neu orientieren. Sie besuchte die Soziale Frauenschule Alice von Salomons und ließ sich zur Wohlfahrtspflegerin ausbilden. Das Frauenbild der bürgerlichen Frauenbewegung, deren Vertreterinnen schon bei den Trieglaffer Konferenzen anwesend waren, prägte sich Elisabeth von Thadden ein. Es basierte auf der Idee einer bipolaren Geschlechterordnung, in der Männer und Frauen je eigene Aufgaben im Dienst an der Gemeinschaft zu erfüllen hatten. Dem entsprach die Idee der Mütterlichkeit, die dem vorgeblich natürlichen Wesen der Frau entsprang und sich im Privaten in der Rolle der Ehefrau und Mutter und in der Öffentlichkeit in der Hinwendung der Frau zum Sozialen und zur Bildung verwirklichte. Die politische Mitwirkung von Frauen in der Demokratie sollte sich demgemäß auf eben jene Bereiche konzentrieren. Für sich selbst lehnte Elisabeth von Thadden, die unverheiratet blieb, eine politische Tätigkeit grundsätzlich ab. Noch während ihrer Kurzausbildung an der Sozialen Frauenschule nahm sie eine Stelle im Kinderdorf Heuberg in Baden an, einer Erholungseinrichtung für Arbeiterkinder, die von Marie Baum, einer weiteren herausragenden Vertreterin der bürgerlichen Frauenbewegung begründet worden war. Auch mit Marie Baum sollte von Thadden eine lebenslange Freundschaft verbinden. Bis 1924 wirkte von Thadden in den Sommermonaten am Heuberg, die Wintermonate verbrachte sie in Berlin und unterstützte Siegmund-Schultze. 1925 wechselte sie als Wirtschaftsleiterin zur Schule Schloss Salem, wo sie die Reformpädagogik Kurt Hahns und das Modell der Landerziehungsheime kennenlernte. Zwar trennte sie von Hahn ihr politischer Konservatismus sowie ihr Protestantismus, doch von den reformpädagogischen Idealen ließ sie sich anregen. Sie flossen in ihr eigenes Schulprojekt ein – ein lang gehegtes Ziel, das sie 1926 realisierte. Mit Organisationstalent, Durchsetzungsvermögen und temperamentvoller Überzeugungskraft gründete sie 1926 in Heidelberg das „Evangelische Landerziehungsheim für Mädchen, Schloss Wieblingen“, das mit dem Sommer 1927 seinen Betrieb aufnahm und sich der Bildung junger Frauen aus dem Adel und dem gehobenen Bürgertum im Geiste konservativer Werte und reformpädagogischer Grundsätze verschrieb. Konsequent wurden Schule und Internat ausgebaut. Die Schule wurde schließlich 1933 als nichtstaatliche Lehranstalt anerkannt, umfasste alle Klassen und beherbergte zudem eine Frauenschule. 1938 besuchten 128 Schülerinnen die Wieblinger Schule, darunter auch viele Mädchen und junge Frauen aus der näheren Region, die weiterhin zu Hause wohnten. Die nationalkonservative Elisabeth von Thadden begrüßte 1933 das Ende der Republik und die nationale Revolution; mit dem NS-Staat sah sie sich und die Zielsetzung ihrer Schule im Einklang. Mit der „Erziehung der deutschen Jugend zu deutschen Volksgenossen, zu vollbewußten Gliedern des nationalsozialistischen Staates“ sollte die Schule „das neue Deutschland mitbauen“ helfen, schrieb sie im November 1933. Sie öffnete die Schule für den Bund deutscher Mädel (BDM), die nationalsozialistische Organisation für die weibliche Jugend, feierte die außenpolitischen Stationen der Revisionspolitik des Regimes und band Nationalsozialisten in die Schulorganisation ein. Seit 1936 distanzierte sie sich indes zunehmend vom NS-Regime. Dazu trugen die fortschreitende Einschränkung des Freiraums ihrer Schule bei und die Repression gegenüber Mitgliedern der Familie Thadden-Trieglaff, die als Stützen der Bekennenden Kirche ins Visier des NS-Staats geraten waren. Überhaupt brachte die nationalsozialistische Verdrängung der Kirchen und besonders der Zugriff des Regimes auf die protestantische Kirche über die völkische Bewegung der Deutschen Christen Elisabeth von Thadden in eine immer deutlichere Distanz zum Nationalsozialismus. Sie sorgte gezielt dafür, dass ihre Schule vor diesen Einflüssen bewahrt wurde und engagierte sich in der Bekennenden Kirche. Ein gewichtiger Grund für ihre zunehmend dissidente Haltung war ferner die sich rapide radikalisierende antisemitische Politik des Regimes. Elisabeth von Thadden unterstützte die Hilfsnetzwerke des Heidelberger Pfarrers Hermann Maas und Friedrich Siegmund-Schultzes und nahm Schülerinnen in Wieblingen auf, die nach der rassistischen Lesart des Regimes als „jüdisch“ oder „halbjüdisch“ klassifiziert wurden. Dem nationalsozialistischen Rassismus setzte sie wertegeleitetes Handeln und Menschlichkeit entgegen und gestaltete den Schulalltag als christliche Gegenwelt. Mit der Entfesselung des Krieges 1939 intensivierte das Regime seinen Zugriff auf die Privatschulen. Zunächst konfiszierte die Wehrmacht Schloss Wieblingen; von Thadden verlagerte die Schule ins bayerische Tutzing am Starnberger See. Verdächtigungen und Denunziationen führten im Frühjahr 1941 zu Verhören durch die Gestapo und den Sicherheitsdienst der SS, zu Ostern 1941 entzog das Bayerische Kultusministerium die Genehmigung, was zu einer Rückkehr der Schule nach Heidelberg führte. Das zuständige Badische Kultusministerium hob umgehend im Mai 1941 die Privatschule auf und verstaatlichte Elisabeth von Thaddens Lebenswerk. Elisabeth von Thadden ging nach Berlin. Erneut hatte sie ihr Leben völlig neu auszurichten. Ganz im Sinne ihrer sozialen Überzeugungen wollte sie sich für das Rote Kreuz engagieren, was ihr auf Grund ihrer bekannten Opposition zum Regime schwergemacht wurde. Eine Leitungsposition war unter diesen Umständen unrealistisch. Sie wurde zu einfachen Arbeiten in Soldatenheime nach Frankreich abgeordnet. In Berlin lebte sie zunächst im Haus der konservativen Sozialreformerin und -politikerin Anna von Gierke, einer langjährigen Vertrauten, die regelmäßige Bibelrunden und Vortragsabende veranstaltete. Dort versammelten sich bis zum Verbot durch die Gestapo Ende 1942 die protestantischen dissidenten Köpfe Berlins in ökumenischer Offenheit. Von Thadden knüpfte u.a. Kontakte zur ökumenisch-pazifistischen Una Sancta-Bewegung um Max Josef Metzger und zum Kreis um Johanna Solf. Sie bewegte sich in den sozialen Netzwerken des bürgerlichen Widerstands, in denen die geteilte Ablehnung des Regimes zur privaten Lebensform wurde. Die Haltung gegenüber dem NS-Regime begegnete ihr hier in vielerlei Schattierungen: Sie reichte von distanzierter Selbstbehauptung, über artikulierten Dissens, die Unterstützung jüdischer Verfolgter bis hin zu politischen Planungen für einen Umsturz und eine Regierung nach dem Ende des „Dritten Reiches“. An den Umsturzplanungen beteiligte sich Elisabeth von Thadden nicht. Vielmehr blieb sie der bürgerlichen Frauenrolle fern der praktischen Politik treu: Sie schuf soziale Räume dissidenter Begegnung im Privaten. Eine Teegesellschaft, zu der sie anlässlich des 50. Geburtstags ihrer Schwester Agnes-Marie Braune während eines Kurzurlaubs in Berlin am 10. September 1943 lud, wurde ihr und ihrem Freundeskreis zum Verhängnis. Sie wurden von dem jungen Arzt Paul Reckzeh, der aus einer bürgerlichen Berliner Familie stammte und für die Gestapo widerständige Kontaktnetzwerke in die Schweiz ausspionierte, verraten. Mit Otto Carl Kiep, Arthur Zarden und Johanna Solf waren zentrale Mitglieder des Solf-Kreises anwesend, so dass die Sicherheitsbehörden in Folge der Ermittlungen auch diesen Kreis zerschlagen konnten. Zwar erhielten die Anwesenden des Teenachmittags einen Hinweis auf ihre Bespitzelung; doch Elisabeth von Thadden lehnte eine Flucht in die Schweiz ab. Sie fühlte sich für den Verrat der Freundinnen und Freunde verantwortlich, war sie es doch gewesen, die Reckzeh eingeladen hatte. Am 13. Januar wurde sie in Meaux bei Paris verhaftet, nach Berlin überführt und Anfang Februar im Gefangenentrakt des Konzentrationslagers Ravensbrück inhaftiert. Vor dem Volksgerichtshof wurde Elisabeth von Thadden neben Otto Carl Kiep am 1. Juli 1944 von Roland Freißler wegen Hochverrats zum Tode verurteilt und zwei Monate später durch das Fallbeil in der Strafanstalt Berlin-Plötzensee hingerichtet. Als der Historiker Hans Rothfels, selbst jüdischer Verfolgter und Emigrant, 1949 den deutschen Widerstand gegen das NS-Regime in einer ersten Gesamtdarstellung würdigte, kam er auch auf Elisabeth von Thadden zu sprechen. Selbst wenn sie nicht in politische Sabotageaktionen oder Umsturzplanungen involviert war, so habe sie doch „in ihrem beispielhaften Sinne“ für den Widerstand gewirkt, denn „in ihrem beispielhaften Sein war sie eine Quelle der Kraft für andere und ein Vorwurf gegen das Regime, solange sie lebte.“ Martina Steber, Institut für Zeitgeschichte München–Berlin / Universität Augsburg _________________________________________________________________________________________________________