Anne Gemeinhardt
Anne Gemeinhardt ist Direktorin der Museen für Kulturgeschichte der Landeshauptstadt Hannover (Historisches Museum Hannover, Museum August Kestner und Museum im Schloss Herrenhausen)
Wie sind Sie zum Fach (Europäische Kultur)Geschichte gekommen?
Als ich 2001 mein Studium der Europäischen Kulturgeschichte Augsburg begann, war der Studiengang gerade ganz neu eingerichtet worden und, wenn ich ehrlich bin: Eine richtige Vorstellung davon, was mich erwarten würde, hatte ich eigentlich nicht. Für mich war definitiv ‚Europa‘ ein wichtiges Schlagwort. Das hat sicherlich damit zu tun, dass ich als gebürtige Saarländerin in der Nähe zu Frankreich und Luxemburg aufgewachsen bin – da ist Europa nicht nur ein abstrakter Begriff, sondern im Alltag ziemlich präsent.
Die Beschäftigung mit historischen Quellen, Sprachen, Kunst, Kultur, Gemeinsamem und Trennendem in Europa – all das hat mich damals (wie heute) sehr fasziniert, ich hatte dazu aber vor allem einen emotionalen Zugang. Das wissenschaftliche Arbeiten lernte ich mit der Zeit und mit der wachsenden Begeisterung für die Studieninhalte.
Die jüdische Geschichte und Kultur weckte mein besonderes Interesse. Wie sie als integraler Bestandteil der europäischen Geschichte gelehrt wurde, war für mich etwas ganz Neues und unterschied sich völlig von dem, was ich in der Schule über Jüdinnen und Juden gelernt hatte. Nach dem Erasmus-Semester in Lyon (Frankreich) und dem BA-Abschluss in Augsburg schloss ich daher ein Studium mit diesem Schwerpunkt an der Ludwig-Maximilians-Universität in München an.
Welche Qualifizierungen und Initiativen während des Studiums waren wichtig für die spätere Berufswahl? Wie können sich Geschichtsstudierende auf mögliche spätere Berufsfelder vorbereiten?
Zu Beginn des Studiums und auch noch nach einigen Semestern hatte ich kein konkretes Berufsziel vor Augen. Manchmal quälte mich und meine Kommiliton*innen folglich auch die Frage, wo wir später mit dem geisteswissenschaftlichen Studium wohl einmal landen würden. Ich war daher für jede praktische Übung, jedes über die Uni initiierte Kulturevent und jeden Kontakt zu Menschen in möglichen Berufsfeldern enorm dankbar. Ich musste mir in meiner Studienzeit immer etwas dazuverdienen.
Die verschiedenen Jobs in Gastronomie und Einzelhandel waren nicht immer toll, aber ich habe dabei nebenher einiges ‚fürs Leben‘ und auch für den späteren Beruf gelernt. Mit der Zeit passten Jobs und Studium immer besser zusammen: Ich gab Museumsführungen, Stadtgänge und Workshops für Schüler*innen – dadurch hatte ich am Ende meines Studiums schon einige praktische Erfahrungen in der Tasche und ein kleines Netzwerk zu Leuten, die meine Potentiale erkannten und förderten.
Auch die klassischen Elemente des wissenschaftlichen Studiums sind nicht zu unterschätzen: Recherchieren, Texte schreiben, komplexe Inhalte ansprechend und verständlich präsentieren, eine These verteidigen, selbst respektvoll Feedback geben, kritisch nachfragen und miteinander diskutieren – das sind alles Kenntnisse, die für einen Job im Kulturbereich wichtiges Handwerkszeug sind.
Wie sind Sie zu dieser Tätigkeit gekommen?
Mein Einstieg in die Museumsarbeit war ein wissenschaftliches Volontariat im Jüdischen Museum Frankfurt direkt im Anschluss an das Studium. Dabei entdeckte ich, dass im Bereich der musealen Vermittlung alle meine Talente und Interessen zusammenkamen. Die Beschäftigung mit Geschichte im Austausch mit unterschiedlichsten Menschen bietet ganz viele Möglichkeiten, über unser Zusammenleben heute und in Zukunft nachzudenken und Museen sind dafür ideale Orte.
Ich hatte dann das Glück, schon relativ jung (mit 30 Jahren) eine feste und unbefristete Stelle als Kuratorin für Bildung und Vermittlung im Historischen Museum Frankfurt (HMF) zu bekommen. In den 10 Jahren, die ich am HMF war, konnte ich miterleben, wie es sich vom Fachmuseum für Geschichte zum Stadtmuseum für die diverse Stadtgeschichte wandelte. In Frankfurt sind auch meine beiden Kinder auf die Welt gekommen. Familie und Job – ein ganz eigenes Thema!
Seit Juni 2023 leite ich nun die Museen für Kulturgeschichte der Landeshauptstadt Hannover. Von hinten betrachtet liest sich alles ganz logisch und einer klaren Strategie folgend. Es gab unterwegs aber viele Zufälle und wegweisende menschliche Begegnungen. Ziemlich viel Glück war auch dabei.
Worin besteht genau Ihre Aufgabe im Beruf? Wie sieht der konkrete Arbeitsalltag aus?
Die Museen für Kulturgeschichte sind ein Verbund aus drei Museen in städtischer Trägerschaft. Alle drei Häuser befinden sich in einem tiefgreifenden Umbruch. Das Historische Museum ist bereits geschlossen und wird für mehrere Jahre saniert, im Museum August Kestner steht das für die Zeit von 2026 bis 2029 an. Ein echtes Mammut-Projekt ist der Umzug aller Museumssammlungen in ein neu errichtetes Zentraldepot. Das sind viele Baustellen, aber gerade die bieten die riesige Chance, die Museen neu zu denken und zukunftsfähig zu machen.
Denn die Erwartungen und Herausforderungen, mit denen Museen und Kultureinrichtungen konfrontiert sind, haben sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Für das Team aus rund 80 Kolleg*innen versuche ich, die bestmöglichen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, damit wir gemeinsam Visionen für unsere „Museen der Zukunft“ entwickeln können. Und auch die Stadtöffentlichkeit soll sich so gut wie möglich einbringen können.
Einen großen Teil meiner Arbeitszeit verbringe ich in verschiedenen Team-Meetings und Routinen, dazu kommen zahlreiche repräsentative Termine. Bei Tagungen und Workshops tausche ich mich mit Kolleg*innen anderer Museen aus, die in ähnlichen Situationen sind. Ein Highlight sind Kooperationsprojekte mit Hochschulen, z.B. regelmäßig mit dem Studiengang Public History. Ich freue mich natürlich, wenn ich etwas weitergeben kann, wir profitieren im Museum aber immer wieder auch von den innovativen Ideen der Studierenden.
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