Dr. Sarah Bornhorst
Dr. Sarah Bornhorst ist Kuratorin für Zeitzeug:innenarbeit und Oral History der Stiftung Berliner Mauer
Wie sind Sie zum Fach Geschichte gekommen?
An der Auseinandersetzung mit Geschichte reizt mich besonders, dass man mit dem Blick in die Vergangenheit die Gegenwart besser verstehen kann. Woher kommen bestimmte Entwicklungen? Welche Sichtweisen prägten Gesellschaften früher – und was sagt das über Gesellschaften heute aus?
Ich habe mich schon als Jugendliche für historische Themen interessiert und die typischen Jugendbücher gelesen – Als Hitler das rosa Kaninchen stahl von Judith Kerr oder Die roten Matrosen oder ein vergessener Winter von Klaus Kordon. Zwischendurch wollte ich beruflich zwar andere Sachen machen (Maskenbildnerin oder Zahnärztin, aber eigentlich fand ich die Vorstellung, fremden Menschen im Mund herumzuwerkeln, nicht sehr attraktiv).
Und als es dann Richtung Abitur ging, war mir klar, dass ich Geschichte studieren möchte. Einer meiner Leistungskurse war Geschichte und meine damalige Lehrerin war sehr gut. Weil ich nicht wusste, was ich genau mit einem Geschichtsstudium machen kann, habe ich noch „was mit Medien“ studiert, um später in den Medien arbeiten zu können – eine ziemlich naive Vorstellung, die wahrscheinlich auch 90% meines Jahrgangs, die etwas Geisteswissenschaftliches studiert haben, hatten.
Welche Qualifizierungen und Initiativen während des Studiums waren wichtig für die spätere Berufswahl?
Wie können sich Geschichtsstudierende auf mögliche spätere Berufsfelder vorbereiten?
Wenn man im Museums- oder Gedenkstättenbereich arbeiten möchte, ist es wichtig, das so früh wie möglich auszuprobieren. Ich habe während der Arbeit an meiner Dissertation in verschiedenen Ausstellungen als Guide gearbeitet. Dabei ist dann auch der Wunsch gewachsen, in diesem Bereich der Geschichtsvermittlung zu arbeiten und historische Themen anschaulich einem breiteren Publikum als einer Fachöffentlichkeit zu vermitteln.
Am besten ist es, früh schon Praktika im musealen Bereich zu machen oder vielleicht auch nebenher als Guide oder studentische:r Mitarbeiter:in in einem Museum oder einer Gedenkstätte zu arbeiten. So kann man erste Qualifikationen sammeln und erste Netzwerke knüpfen.
Ich war neben dem Studium im Studentischen Kulturforum Augsburg (S.K.A.) e. V. engagiert. Wir haben Veranstaltungen organisiert und wollten studentische Kultur in die Stadt tragen, weil Uni und Stadt damals relativ nebeneinander her existierten. Dort habe ich Organisieren, Planen und Umplanen sowie Arbeit in einem Team gelernt, was mir bei meinen späteren Projekten auch sehr geholfen hat.
Wie sind Sie zu dieser Tätigkeit gekommen?
An meiner jetzigen Tätigkeit als Kuratorin für Zeitzeug:innenarbeit und Oral History hat mich gereizt, die Zeitzeug:innenarbeit der Stiftung Berliner Mauer neuen Fragestellungen, Perspektiven und Themen zu öffnen und damit erinnerungspolitischen Diskursen neue Impulse geben zu können. Das mache ich seit Ende 2017.
Nach der Promotion 2008 habe ich zuerst bei der Gedenkstätte Berliner Mauer als wissenschaftliche Mitarbeiterin für historisch-politische Bildung angefangen. Später bin ich Teil des Teams geworden, das die ab 2010 eröffnete Dauerausstellung im Außengelände der Gedenkstätte kuratiert und realisiert hat. 2012 bin ich zum Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gewechselt, für die Realisierung der Ausstellung Alltag in der DDR in Berlin.
Danach ging es weiter zum Deutschen Historischen Museum, für die 2015 eröffnete Sonderausstellung Homosexualität_en. Auf dieses Projekt, eine Kooperation mit dem Schwulen Museum, bin ich besonders stolz, weil zum ersten Mal umfassend queere Geschichte im zentralen Geschichtsmuseum gezeigt wurde, ein überfälliger Schritt der Sichtbarmachung. Danach habe ich in der Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße in Potsdam gearbeitet, bevor ich zurück zur Stiftung Berliner Mauer gegangen bin.
Zwischendurch und nebenher habe ich freiberuflich andere Ausstellungsprojekte realisiert. Wenn man im Bereich Ausstellungen arbeitet, ist man oft projektgebunden beschäftigt und muss sich öfters eine neue Stelle oder neue Auftraggeber:innen suchen. Positiv daran ist, dass man verschiedene Häuser kennenlernt und Netzwerke knüpfen kann.
Worin besteht genau Ihre Aufgabe im Beruf? Wie sieht der konkrete Arbeitsalltag aus?
Als Kuratorin für Zeitzeug:innenarbeit und Oral History der Stiftung Berliner Mauer bin ich für die konzeptionelle Ausgestaltung unserer Zeitzeug:innenarbeit und für die datenbankgestützte, archivalische Erschließung und Aufbereitung von Interviews verantwortlich. Ich verstehe unsere Zeitzeug:innenarbeit dabei als Alltagsgeschichte im besten Sinne, um alltägliche Strategien und Umgangsweisen sichtbar und verstehbar zu machen. Außerdem möchte ich Menschen die Möglichkeit geben, sich zu äußern, die noch nicht hundertmal gehört worden sind und deren Perspektive bisher in etablierten Institutionen der Erinnerungskultur keinen Raum bekommen haben.
Ein wichtiger Bestandteil meiner Arbeit ist das Führen von narrativen Interviews mit Menschen, deren Biografie mit der Geschichte der Berliner Mauer, der deutsch-deutschen Teilung oder der Migrationsbewegungen im Kalten Krieg verbunden ist. Wichtig ist natürlich auch die Kontaktpflege zu den Zeitzeug:innen und zu Angehörigen von Todesopfern an der Berliner Mauer, für sie bin ich Ansprechpartnerin.
Dazu kommt Projektarbeit, momentan etwa ein teilweise KI-basiertes Digitalisierungs- und Erschließungsprojekt von Interview- und Sammlungsbeständen gemeinsam mit dem Bereich Sammlung der Stiftung Berliner Mauer, verschiedene Ausstellungsprojekte, Gedenk- und andere Veranstaltungen mit Zeitzeug:innen oder Buchprojekte. Es ist eine sehr abwechslungsreiche Arbeit, bei der ich viele Menschen kennenlerne, die mich immer wieder beeindrucken. Eine Schlüsselqualifikation dabei ist: zuhören können.
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