Gesellschaftliche Verantwortung wissenschaftlicher Erkenntnisse (...)

Projektstart: 01.01.2013

 

Projektträger: Universität Augsburg

 

Projektverantwortung vor Ort: Prof. Dr. Reiner Keller

 

Beteiligte WissenschaftlerInnen / Kooperationen: Simon Persdorf

 

 

Zusammenfassung

Im Anschluss an die Ergebnisse einer Vielzahl sozialwissenschaftlicher Untersuchungen stellen die Theoretiker der Wissenspolitik (Nico Stehr, Werner Rammert, Peter Wehling; u.a.) die Diagnose, dass sich die Bedeutung wissenschaftlichen Wissens in der Gesellschaft gewandelt hat. Diese gesellschaftliche Transformation könnte es ermöglichen, dass über gesellschaftliche Prozesse wirksam in die wissenschaftliche Wissensproduktion sowie dessen Anwendung eingegriffen wird. Das Dissertationsprojekt verfolgt die Aufgabenstellung, die Konzepte der Wissenspolitik einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Mit den thematischen Schwerpunktbildungen, die die Ansätze vornehmen, sind unterschiedliche Konzeptionen des Verhältnisses von Wissen, Politik und Moral impliziert. Diese Entwürfe aus einer einheitlichen Perspektive zu schematisieren und miteinander zu vergleichen, ist ein Ziel des Dissertationsprojekts. Zudem liefern die bisherigen sozialwissenschaftlichen Beiträge zu Wissenspolitik entweder theoretische und normative Konzepte oder unsystematische empirische Studien in unterschiedlichen Wissensfeldern (siehe TATuP-Schwerpunkt 3/04, dort insb. Bechmann et al. 2009). Der bisherigen Diskussion mangelt es an einer systematischen empirischen Erfassung wissenspolitischer Praktiken. Diese Leerstellen zu bearbeiten und dabei die Ideen der Wissenspolitik zu hinterfragen, ist ein weiterer Fokus der Dissertation. Um die Möglichkeit der empirischen Beobachtbarkeit und analytischen Überprüfung sicherzustellen, ist ein Forschungsansatz notwendig, der die unterschiedlichen Foki der theoretischen Konzepte einfängt. Reiner Kellers Überlegungen zur Wissenspolitik, die er im Rahmen seines Forschungsprogramms der Wissenssoziologischen Diskursanalyse (WDA) leistet, erfüllen diesen Anspruch. Keller geht davon aus, dass die Macht gesellschaftlicher Diskurse schon immer soziale Wissensbestände beeinflusst hat. Dementsprechend könnte auch, spezifiziert auf das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft, Wissenspolitik als eine diskursive Regulierung der Produktion und der Anwendung wissenschaftlichen Wissens verstanden werden. Ansätze zur Regulierung könnten also, so die Arbeitshypothese, durch Diskursanalyse beobachtet werden. Der gesellschaftliche Diskurs über die Regulierung der Nanotechnologie in Deutschland wird in der empirischen Untersuchung als Gegenstand herangezogen. Den Nanowissenschaften sowie nanotechnologischen Innovationen wird das Potenzial zugeschrieben, die ökonomischen, technologischen, moralischen, politischen etc. Grundlagen der Gesellschaft tiefgreifend zu verändern. Das Thema dient als ein aktuelles Beispiel zur Charakterisierung des Verhältnisses zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. In den gesellschaftlichen Diskurs über die Nanotechnologie bringen unterschiedliche Akteure vielfältige Vorschläge ein. Es werden u.a. Argumente, Hinweise oder Überlegungen vorgebracht, welche Bereiche erforscht werden sollen, welche nicht und wie mit den erlangten Ergebnissen umzugehen sei. Die Untersuchung des Diskurses zur Regulierung der Nanotechnologie könnte, folgt man dem Ansatz Kellers, die Akteure der Wissenspolitik im Bereich der Nanotechnologie aufzeigen. Als Akteure werden in der Diskursanalyse dann jene ausgemacht, die Sprecherpositionen einnehmen. Deren im Diskurs generierte Praktiken sind dementsprechend als die Instrumente der Wissenspolitik zu verstehen. Das Datenmaterial der Diskursanalyse besteht aus Dokumenten. Sollten die Theoretiker der Wissenspolitik Recht behalten, müssten sich dann deren konzeptualisierte Problemstellungen als Streitthemen im Diskurs wieder finden: die Überwachung und Kontrolle des Wissens (Stehr), die Besonderheiten des Nichtwissens (Wehling) und die Notwendigkeit innovativer Produkte und institutioneller Vorschläge zu deren Erzeugung (Rammert). Ausgehend von den Ergebnissen der Diskursanalyse soll der weiterführenden Frage nachgegangen werden, inwiefern der rekonstruierte Diskurs Einfluss auf die Produktion und Anwendung wissenschaftlichen Wissens genommen haben könnte. Die WDA verweist für solche Fragestellungen auf das Konzept des Dispositivs. Dahinter steht die Annahme, dass jeder Diskurs Vergegenständlichungen bildet, die potenziell andere Diskurse, diskursexterne Akteure durch Subjektivierungen sowie diskursexterne Praktiken beeinflussen. Die Annahme, die in der Dissertation verfolgt wird, geht jedoch eher von der wissenssoziologischen Argumentation der WDA aus und erweitert diese. Es wird die These vertreten, dass der gesellschaftliche Diskurs zur Regulierung der Nanotechnologie nur dann Einfluss auf den wissenschaftlichen Diskurs und auf wissenschaftliche Praktiken nehmen könnte, wenn dieser wissenschaftliche Semantiken verwendet. Der Regulierungsdiskurs könnte auch die Anwendung wissenschaftlichen Wissens über die Verwendung ökonomischer bzw. politischer Semantiken beeinflussen. Aus dieser Perspektive wäre Wissenspolitik ein beispielhaftes Phänomen zur Beschreibung der Selbststeuerung der Gesellschaft.

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