Bukowina-Deutsche: Erfindungen, Erfahrungen und Erzählungen einer Gemeinschaft
Zum Forschungsprojekt
Die sogenannten Bukowina-Deutschen haben sich – ebenso wie andere deutschsprachige Siedlergruppen in anderen Teilen Ostmittel- und Südosteuropas – lange nicht als eigene und distinkte Gruppe verstanden. Erst in der Zwischenkriegszeit wurde, unter dem Druck der Rumänisierung und vor dem Hintergrund allgemeiner völkisch-nationaler Umtriebe, das Verbindende der deutschen Siedlergruppen stärker betont. Auch der Begriff der Bukowina-Deutschen verfestigte sich erst zum Ende der 1920er Jahre: In den 1910er und 1920er Jahren findet sich wiederkehrend die Formulierung des „Deutschtum[s] in der Bukowina“ oder „Bukowiner Deutschtum[s]“. Zugespitzt lässt sich sagen, dass erst unter dem weiteren Eindruck der NS-Volksgruppenrhetorik und vor allem durch die Erfahrungen von Umsiedlung und Heimatverlust viele Bukowiner Deutsche zu einem dauerhaften Selbstverständnis als Bukowina-Deutsche kamen.[1]
Diese These steht im Zentrum des Projekts Bukowina-Deutsche: Erfindungen, Erfahrungen und Erzählungen einer Gemeinschaft. Umfänglich gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) umfasst es zwei Teilbereiche:
- Erstens die Publikation eines Bandes der Reihe Danubiana Carpathica. Jahrbuch für Geschichte und Kultur in den deutschen Siedlungsgebieten Südosteuropa (Hg. von Maren Röger und Alexander Weidle)
- Zweitens ein Interviewprojekt mit Bukowina-Deutschen und deren Nachfahren (Projektleitung Alexander Weidle)
[1] Absatz mit weiteren Quellenangaben abgedruckt in Maren Röger, Gaëlle Fisher: Bukowina. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2017. URL: http://ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32554 (Stand 07.06.2017), zuletzt abgerufen am 17.12.2018.
Publikation (Hg. von Maren Röger und Alexander Weidle)
Röger, Maren/Weidle, Alexander (Hrsg.): Bukowina-Deutsche. Erfindungen, Erfahrungen und Erzählungen einer (imaginierten) Gemeinschaft seit 1775. Berlin/Boston 2020.
(Danubiana Carpathica Band 10 (57))
ISBN 978-3-11-060338-5
Abstract:
Seitdem das Habsburger Reich die Bukowina übernommen hatte, förderte es den Zuzug aus deutschsprachigen Landen. Zu Bukowina-Deutschen bzw. Buchenlanddeutschen wurden die Zugewanderten erst (gemacht) – durch das Agieren ethnopolitischer Unternehmer seit dem 19. Jahrhundert, unter dem Druck der Rumänisierung in der Zwischenkriegszeit, durch Angebote der völkisch-deutschnationalen Bewegung und die Folgen der Umsiedlung 1940/41. Der Band geht auf die Phasen, das Ausmaß und die Grenzen der Gruppenidentitätsstiftung(en) ein.
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Der Themenband zur Bukowina zielt im Kern auf die Genese der Gruppenidentität und umfasst Aufsätze ausgewiesener Bukowina-Forscher*innen ebenso wie Arbeiten junger Historiker*innen. Zweitere entstanden im Wesentlichen im Rahmen universitärer Qualifikationsarbeiten an der Augsburger Juniorprofessur für Transnationale Wechselbeziehungen: Deutschland und das östliche Europa. Dabei beziehen sie mehrfach bislang unbearbeitete Archivalien aus dem 2019 neu eröffneten Archiv des Bukowina-Instituts mit ein.
Das Jahrbuch Danubiana Carpathica. Jahrbuch für Geschichte und Kultur in den deutschen Siedlungsgebieten Südosteuropas wird seit 2007 im Auftrag der Kommission für Geschichte und Kultur der Deutschen in Südosteuropa, des Instituts für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde und des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas herausgegeben. Das Jahrbuch versteht sich als internationales Forum für einen multidisziplinären, vergleichend ausgerichteten und transnationalen Zugang zur Multikulturalität dieses Raumes. Ab 2020 ist das Bukowina-Institut an der Universität Augsburg (Jun.-Prof. Dr. Maren Röger) Mit-Herausgeber.
Interview-Projekt (Projektleitung Alexander Weidle)
Das intergenerative Interviewprojekt möchte in mehreren Dimensionen der Frage nachgehen, wie die Gemeinschaft der Bukowina-Deutschen gestiftet, erlebt und heutzutage erzählt wird. Bis April 2021 konnten in Deutschland, Österreich und Rumänien rund 140 Interviews geführt werden, in denen Gesprächspartner*innen über ihr Leben in der Bukowina, über Um-, Ansiedlung und Flucht sowie über ihren späteren Lebensweg berichten konnten. Angesichts des zunehmenden Sterbens der Erlebnisgeneration ist dies eine unglaubliche und in vielen Fällen letztmalige Chance, diese Berichte für die Nachwelt zu sichern. Zugleich richtet sich das intergenerative Projekt auch an Nachgeborene und Eheparter*innen sogenannter Bukowina-Deutscher. Besonders vielversprechend scheint dabei, dass die Befragten heterogene Hintergründe haben: Ihre Lebensgeschichten zeugen davon, dass ethnische Zugehörigkeit bei weitem nicht so eindeutig war, wie sie im Zuge der nationalistisch-völkischen, später rassistischen Aufladung proklamiert wurde. Zugleich bilden die Erzählungen ein komplexes Bild von Umsiedlungs-, Ansiedlungs- und Integrationsprozessen in die spätere Bundesrepublik, in die DDR oder Österreich. Neben denjenigen, die sich (bzw. deren Vorfahren sich) als deutsche Umsiedler*innen in Landsmannschaften engagierten bzw. dort nie vertreten waren, finden sich im Projekt auch französischsprachige Gesprächspartner*innen deutschen und jüdischen Hintergrunds oder anerkannte und nicht anerkannte Spätaussiedler*innen, die sich selbst bzw. ihre Familien als eher rumänisch denn als deutsch bezeichnen.
Die Dringlichkeit der Durchführung des Projektes zeigt sich nicht nur in der Bewahrung der Erinnerungen, sondern auch durch einen weiteren zentralen Aspekt: Verbunden mit den Gesprächen bietet das Bukowina-Institut an der Universität Augsburg mit seinem Archiv die Möglichkeit, Kulturgüter, behördliche Unterlagen, Briefe, Fotografien, Memoiren oder weitere Quellen zur Bewahrung oder als Schenkung zu übergeben. Diesem Umstand kommt aktuell besondere Bedeutung zu: Vielfach zeigte sich im Laufe der letzten Monate, dass Nachfahren kein Interesse an der Geschichte der Bukowina zeigen und bereits dutzende einmalige Quellen nach dem Tode der Eltern bzw. Großeltern entsorgt wurden.
Praktisches Vorgehen und Ausblick
Die Interviews werden doppelt gesichert aufgezeichnet und orientieren sich am in der Oral-History verbreiteten dreihebigen Verfahren: Ein erster Teil, der nicht durch Rückfragen unterbrochen wird, ermöglicht den Befragten die Erzählung ihrer Lebensgeschichte. Dieses Vorgehen zielt auf eine zusammenhängende Narration ab. Im zweiten Teil werden Rückfragen zur Lebenserzählung gestellt, ehe der dritte Teil sich anhand eines umfänglichen Fragebogens bzw. Leitfadens orientiert.
In einem zusätzlichen Schritt werden schließlich Fotografien bzw. materielles Gut einbezogen. Deren Beschreibung wird ebenfalls aufgezeichnet; die Quellen abfotografiert bzw. gescannt. Sowohl Tonspuren als auch Fotografien werden im Archiv des Bukowina-Instituts abgelegt und umfänglich nachbereitet: So entstehen Gedächtnisprotokolle, Schlagwortverzeichnisse und Volltranskriptionen.
Nach Abschluss des Projektes sollen die geführten Interviews gemeinsam mit weiteren Gesprächen, die in umfänglicher Sammlung am Institut vorliegen, in einem Interviewarchiv am Bukowina-Institut zugänglich gemacht werden.
Perspektiven
Eine umfängliche Sammlung an Interviews mit „Bukowina-Deutschen“, die am Bukowina-Institut 2017 im Rahmen eines BKM-Projekts (Bearbeitung: Oscar Czendze und Maren Röger) erstellt wurde, finden Sie hier.
Auf Basis der Interviewsammlung sowie den zahlreichen Quellen aus Privathaushalten entsteht an der Universität Augsburg sowie dem Bukowina-Institut aktuell ein Promotionsprojekt. Es wird realisiert von Alexander Weidle und trägt den (Arbeits-)Titel „Institutionalisierte Erinnerung und ihre Grenzen: Landsmannschaft und Lebensgeschichten der Buchenlanddeutschen“
Auch nach Ablauf der Projektförderung freuen wir uns über weitere Gesprächsparter*innen. Bitte wenden Sie sich bei Interesse an info[at]bukowina-institut.de.
Förderung
Das Projekt wird gefördert durch: