Binsen pflanzen, um den Planeten zu retten. Käthe Seidel...

Binsen pflanzen, um den Planeten zu retten. Käthe Seidel und die Entstehung von Pflanzenkläranlagen

von Simone M. Müller

1979 rief der österreichische Verleger, Diplomat und Politiker Alois G. Engländer 150 hochkarätige Wissenschaftler, darunter zwölf Nobelpreisträger, zum ersten Weltkongress Alternativen und Umwelt im Wiener Künstlerhaus zusammen. Der langjähriger Anti-Atomkraft-Aktivist und begeisterter Umweltschützer Engländer verfolgte mit dem Kongress zwei Ziele. Er wollte sowohl eine Plattform für den Austausch hochrangiger Wissenschaftler schaffen, die sich mit dringenden Umweltproblemen befassen, als auch eine weithin sichtbare internationale Veranstaltung, die alternative Lebens-, Arbeits- und Konsumweisen in den Mittelpunkt rückt. Vorsitzender des Kongresses war der Nobelpreisträger und österreichische Zoologe Konrad Lorenz, die Schirmherrschaft übernahm der österreichische Bundespräsident.

Eine der 150 Wissenschaftler auf diesem Weltkongress für Alternativen und Umwelt von 1979 war Käthe Seidel (1907-1990). Sie war eine deutsche Botanikerin, die sich fast vierzig Jahre lang mit der Kugelbinse und Feuchtgebieten befasst hat, größtenteils unter dem Dach der Max-Planck-Gesellschaft in Deutschland. In den 1920er Jahren begann Seidel ihre Karriere als Gärtnerin und Landschaftsgärtnerin. Nach dem Krieg gründete sie als Vertriebene im schleswig-holsteinischen Preetz ihr eigenes Geschäft mit dem Weben mit Binsen. Schon bald weitete sich Seidels Interesse an der Teichbinse vom Flechten von Körben auf das wissenschaftliche Verständnis der Sumpfpflanze aus. Während sie ihre Dissertation schrieb, arbeitete sie an der in der Nähe gelegenen hydrologischen Forschungsstation des Max-Planck-Instituts in Plön. Dort richtete sie Pflanzengärten ein, um die Teichbinse während ihres gesamten Lebenszyklus zu studieren. Seidels Besessenheit von der Binse sollte ein Leben lang andauern; sie überstand sowohl einen unfreiwilligen Umzug vom Max-Planck-Institut in Plön in die 500 Kilometer entfernte Stadt Krefeld als auch die Fortsetzung ihrer Tätigkeit nach ihrer Pensionierung.
Als Seidel Mitte des 20. Jahrhunderts begann, sich mit Feuchtgebieten und der Teichbinse zu befassen, gab es nur wenige westliche wissenschaftliche Erkenntnisse über eine Pflanze, die seit Jahrhunderten, wenn nicht Jahrtausenden für viele indigene Kulturen, die mit dem Land leben, von zentraler Bedeutung war. Seidel untersuchte die Anpassung der Pflanze an ihren Lebensraum und beobachtete dabei Eigenartiges. Die Binse gedieh nicht nur in sauren Gewässern. Sie wirkte sich auch positiv auf ihren Standort aus. Bei näherer Betrachtung stellte Seidel fest, dass diese Sumpfpflanzen Stoffe wie Phenole und Cyanide entgiften, Überdüngung aus dem Wasser entfernen, Schwermetalle speichern, Krankheitserreger durch Wurzelausscheidungen abtöten, wichtige Bakterien fördern, Sauerstoff auf den Grund des Gewässers bringen oder Schlamm in Erde verwandeln können. Mitte der 1950er Jahre stellte Käthe Seidel die Theorie auf, die zum Kernstück von Pflanzenkläranlagen auf der ganzen Welt werden sollte: Pflanzen könnten eingesetzt werden, um verschmutztes Wasser zu reinigen. Damals war dies eine revolutionäre Behauptung, da Wissenschaftler noch davon ausgingen, dass nur Pflanzen höherer Ordnung in unverschmutzten Gewässern überleben können. Doch Käthe Seidel wusste es besser.
Um ihre Hypothese zu testen, ließ Seidel 1957 in der Nähe von Krefeld ihre erste Pflanzenkläranlage errichten, ein künstliches Binsen-Feuchtgebiet. Dann ließ sie stark verschmutztes Wasser aus dem Rhein in das Versuchsgebiet pumpen und maß die austretenden Abwässer. Nach ein oder zwei Wochen im Feuchtgebiet war der Phosphor- und Stickstoffgehalt des austretenden Wassers deutlich geringer und der Sauerstoffgehalt stieg an. Mit dem als Krefelder System bezeichneten Verfahren entwickelte Seidel das erste vom Menschen angelegte Feuchtgebiet, in dem das Abwasser durch verschiedene Becken geleitet wird, in denen Binsen, Schilf und Wasserschwertlilien die Schadstoffe nacheinander aufnehmen. Bald wurde das System in der ganzen Welt übernommen, von den Niederlanden, Schweden und Polen bis Brasilien, Bolivien und Venezuela und von Israel, Japan und Norwegen bis zum Sudan, Südafrika und den Vereinigten Staaten. Mit ihrer Arbeit ebnete Käthe Seidel auch den Weg für die Entstehung der Feuchtgebietsforschung als wachsendes Teilgebiet der Hydrologie. Manche nennen sie sogar die „Mutter der Pflanzenkläranlagen“ (Eke 2008, 23).
Doch trotz dieser bahnbrechenden Forschungsergebnisse ist die heutige Welt nicht mit Pflanzenkläranlagen übersät. Käthe Seidel war eine umstrittene Persönlichkeit, die sowohl mit der gläsernen Decke konfrontiert war, die Wissenschaftlerinnen nur allzu gut kennen, als auch - zumindest in ihren Augen - mit dem Schicksal einer Prophetin ohne Ehre in ihrem eigenen Land. Sie erhielt wenig institutionelle Unterstützung von der Max-Planck-Gesellschaft und geriet oft mit deren Direktor für Limnologie aneinander, der sie nicht als Wissenschaftlerin, sondern lediglich als Gärtnerin betrachtete. Schließlich ließ er sie von Plön nach Krefeld versetzen. Seidels Begeisterung für das Lernen durch die genaue Beobachtung der Natur mag ihr den Anschein einer alternativen Wissenschaft gegeben haben; ein weiterer Spannungspunkt war sicherlich der missionarische Charakter, den sie ihrer Forschung verlieh. Als Seidel 1977 das deutsche Bundesverdienstkreuz erhielt, legte sie in ihrer Dankesrede ihre Interpretation der Verpflichtung eines Forschers dar. „Ich glaube„, so sagte sie, „dass die Weitergabe von Forschungsergebnissen an Menschen, die sie brauchen könnten und die für sie überlebenswichtig sind, nicht nur eine ‘Bringschuld' ist, sondern dass die Weitergabe, einschließlich der manuellen Hilfe vor Ort, eine ethische Verpflichtung ist“ (Seidel 1982, Archiv der Max-Planck-Gesellschaft). Der Künstler und Aktivist Friedensreich Hundertwasser, der jahrzehntelang ein enger Unterstützer und Freund Seidels wegen ihres gemeinsamen Interesses an Pflanzenkläranlagen war, setzte Seidel mit einem Propheten gleich, der „den Schlüssel zum Tor des Überlebens der Menschheit in der Hand hält [...] und den richtigen Weg zu einem Friedenspakt mit der Natur erhellt“ (Friedensreich Hundertwasser 1981, Archiv der Max-Planck-Gesellschaft).
Käthe Seidel birgt bis heute mehr Fragen als Antworten und lädt zu weiteren Forschungen ein. Für manche Zeitgenossen ist sie eine Prophetin für ein anderes Leben auf und mit dem Planeten, für andere der Inbegriff einer haltlosen Wissenschaft. In jedem Fall ist sie eine Schlüsselfigur bei der Umbewertung von Feuchtgebieten als Ödland in wichtige Ökosysteme im Zeitalter des Anthropozäns. Sie glaubte fest daran, dass die Anlage eines Feuchtgebiets nichts weniger als die Rettung des Planeten bedeuten würde.


Ausgewählte Bibliografie
Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, Käthe Seidel.
Alois G. Engländer (Hg.), Weltkongress für Alternativen und Umwelt, Vienna 1979.
Paul E. Eke, Hydrocarbon removal with constructed wetlands. Edinburgh, Scotland: University of Edinburgh, 2008.
Helga Happel, Gutes Wasser Lebensquell. Die Natur ist Spender und Retter. R.G. Fischer Verlag, 2001.
Hundertwasser Archiv, Wien.

 

Hundertwasser, Käthe Seidel und zwei weitere Personen stehen vor ein künstlich angelegten Sumpf, in dem Binsen wachsen
ganz rechts: Käthe Seidel; Foto: Bernd Lösch © 2025 Hundertwasser Archiv, Wien

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