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Fast zur gleichen Zeit erlebten Deutschland und Großbritannien an der Wende zum 21. Jahrhundert die tiefste Krise ihres jeweiligen Rentensystems seit dem Zweiten Weltkrieg. In beiden Fällen reagierte die Politik mit tiefgreifenden Reformen. Sowohl im Vereinigten Königreich als auch in der Bundesrepublik dominierte in der politischen Debatte die Vorstellung, dass die demographische Alterung für die Rentenkrise verantwortlich war. Die Forderung nach mehr Generationengerechtigkeit avancierte zur zentralen Legitimationsformel für die Begründung grundlegender Rentenreformen. Eine vergleichende historische Analyse zeigt jedoch, dass eine eindimensional auf das Argument demographischer Alterung abstellende Erklärung der Alterssicherungskrise um 2000 nicht zu überzeugen vermag. Weit wichtiger als das demographische Bedrohungsszenario war für die krisenhafte Entwicklung der Altersvorsorge eine Kombination anderer, in Großbritannien und Deutschland jeweils unterschiedlicher Faktoren. Für das Vereinigte Königreich sind hier insbesondere der Wertverfall der staatlichen Grundrente und der sie begleitende Bedeutungsgewinn des Bedürftigkeitsprinzips in der Alterssicherung sowie der Niedergang der betrieblichen Altersvorsorge in ihrer herkömmlichen Form zu nennen. In Deutschland dagegen zeichneten vor allem die ansteigende Arbeitslosigkeit, die gezielte Frühverrentung von Millionen ostdeutscher Arbeitnehmer und die zu einem Gutteil der Sozialversicherung aufgelasteten Kosten der deutschen Einheit für die Finanzprobleme der Rentenversicherung verantwortlich. Hinzu kam, dass sich die steigenden Rentenversicherungsbeiträge in der zeitgleich ablaufenden Debatte über den „Wirtschaftsstandort Deutschland“ als zentrale Ursache für den Verlust der deutschen Wettbewerbsfähigkeit identifiziert fanden. In beiden Ländern griffen die politisch verantwortlichen Akteure gerne das Erklärungsmuster der demographischen Alterung auf, weil es Eingriffe in das Rentensystem als notwendige Konsequenzen eines quasi-natürlichen Prozesses erscheinen ließ und von selbst erzeugten sozialpolitischen Problemlagen ablenkte.

 

Cornelius Torp ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Bremen. Im Wintersemester 2018/19 war er Projektbezogener Gastprofessor für Transnationale Forschung am Jakob-Fugger-Zentrum der Universität Augsburg. Als Historiker beschäftigt ihn vor allem die europäische und transnationale Geschichte vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Geschichte des Wohlfahrtsstaats und der sozialen Ungleichheit, historische Globalisierungsprozesse sowie die Geschichte des Alters und des Glücksspiels. Gelehrt und geforscht hat er u.a. in München, Berlin, Freiburg, Halle, in Florenz, London und Toronto.

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