Klima Regional
Der Klimawandel erscheint als "globales Phänomen". Die großen Klimakonferenzen, das IPCC und Überlegungen zum "Geo-Engineering" legen nahe, die Bewältigung des Klimawandels erfordere vor allem internationale Vereinbarungen sowie den Einsatz technologischer Mittel. Dabei wird schnell übersehen, dass der Klimawandel vor Ort sehr unterschiedlich erfahren wird und dass die daraus resultierenden Haltungen und Erklärungsansätze die Herausbildung von klimabezogenen Aktivitäten grundlegend beeinflussen.
Gerade die lokale und regionale Ebene bietet daher Potentiale für die Erarbeitung wirksamer (sozialer, kultureller, technischer) Ansätze zur Lösung dieses Problems, können doch Gemeinden – so die Ausgangsvermutung unseres Projekts – als soziale Transformationsorte klimagerechten Handelns begriffen werden. Die mit dem Klimawandel assoziierten Ereignisse und Veränderungen lösen vor Ort Impulse zur Bearbeitung des Themas auf – wobei freilich offen ist, welches Ergebnis damit verbunden ist. Denn in Städten und Gemeinden werden Notwendigkeiten, Risiken, Chancen und Herausforderungen mit Blick auf Phänomene des Klimawandels unterschiedlich definiert und Lösungsprozesse entsprechend verschieden ausgestaltet - so sie überhaupt initiiert werden.
Das lenkt den Blick auf die Tatsache, dass diese Unterschiede oft nicht den naheliegenden Erklärungsfaktoren zu folgen scheinen, wie sozio-ökonomischem Wohlstand oder politisch fest verankertem Umweltbewusstsein. Betrachtet man etwa jene Gemeinden und Städte, die für klimaschutzbezogene Maßnahmen und Projekte ausgezeichnet werden, so sind zumindest auf den ersten Blick wenig Gemeinsamkeiten zu bemerken. Offenbar werden von Fall zu Fall wesentliche Transformationsprozesse in der Entwicklung klimabezogener Aktivitäten wirksam. Hierbei können die Entstehung gemeinsamer Sinnhorizonte und Erklärungsansätze, die Erfahrung politischer Wirksamkeit, die Existenz lokaler Netzwerke, das Eingreifen charismatischer Einzelpersonen, die Positionierung gegenüber einer "Bedrohung" von außen sowie Mensch-Umwelt-Beziehungen eine Rolle spielen.
Vor diesem Hintergrund geht das Projekt folgenden Fragen nach: Wie entfalten sich klimabezogene Transformationsprozesse auf der Ebene von Gemeinden und wodurch werden sie gefördert bzw. gebremst? Welche unterschiedlichen Sichtweisen und Erfahrungen in Bezug auf das Thema Klimawandel lassen sich auf Seiten der unterschiedlichen Akteure einer Gemeinde ausmachen und wie beeinflussen diese die Herausbildung klimarelevanter Aktivitäten?
Empirisch werden dazu in den Alpen, in denen der Klimawandel bekanntlich schon deutlich spürbar ist, sechs Gemeindestudien (drei in Bayern, drei in Südtirol, also ländervergleichend) durchgeführt. Konzeptionell soll damit an die Stelle einer isolierten Betrachtung eindimensionaler Faktoren eine ethnographisch inspirierte, mehrdimensionale Untersuchung von "Konstellationen der Ermöglichung oder Blockierung" klimarelevanter Handlungsstrategien treten. Diese Fragestellung erfordert ein interdisziplinäres Vorgehen.
Deshalb ist dieses Projekt als Verbundprojekt zwischen der Hochschule München (HM), der LMU München (LMU) und der Universität Augsburg WZU aufgesetzt. Prof. Dr. Cordula Kropp (HM) arbeitet mit ihrem Team wesentlich auf der Ebene von Handlungen und Akteursnetzwerken, Prof. Dr. Bernhard Gill (LMU) mit seinem Team setzt den Fokus auf die Strukturebene und PD Dr. Stefan Böschen hier am WZU mit Team untersucht die lokale Wahrnehmung und Deutung des Klimawandels und die damit verbundenen Folgen. Jedes Teilprojekt nimmt also einen spezifischen Blickwinkel auf das Problem der Entstehung und Durchsetzung klimabezogener Handlungsstrategien auf Gemeindeebene ein:
- Auf der Strukturebene (Projektteil LMU) werden für jede Gemeinde relevante Strukturbedingungen (Primärenergieverbrauch, Wirtschafts- und Bevölkerungsstruktur, Raumnutzung) erfasst, von denen angenommen werden kann, dass sie mit Blick auf klimarelevantes Handeln einen statistisch nachweisbaren Effekt machen.
- Auf der Handlungsebene (Projektteil HM) geht es darum, nach Handlungsressourcen und den Bedingungen ihrer Anwendung zu fragen. So stellt sich die Frage, wie die Form sozialer Netzwerke mit bestimmten Chancen klimabezogener Willensbildung, Entscheidungsfindung und Maßnahmengestaltung einhergehen.
- Auf der Wahrnehmungs- und Deutungsebene (Projektteil WZU) sollen jene kulturellen Praktiken, Narrative, Interpretationen sowie unterschiedliche Arten des Wissens identifiziert werden, die für die Ausgestaltung klimarelevanten Handelns in den jeweiligen Gemeinden bedeutsam sind. Welche Lernprozesse finden sich und wie werden unterschiedliche Arten des Wissens in Gemeinden kommuniziert und eingesetzt?
Mit diesem Forschungsprogramm verlässt der Projektverbund die in der Klimaforschung eher typische "Astronautenperspektive" (top-down-Ansatz) und rekonstruiert stärker ethnographisch – im Sinne "dichter Beschreibung" (Geertz) – die lokale Handlungsebene und ihre Logik in den drei Untersuchungsebenen, um komplementär zum Top-down-Ansatz systematisch eine Bottom-up-Perspektive auszuarbeiten. Aufbauend auf den Ergebnissen der dreidimensionalen Analyse in ausgewählten Gemeinden und drei Satellitengebieten sollen typische Muster von klimabezogenen Strategien auf kollektiver Ebene erschlossen und so Handlungsempfehlungen abgeleitet werden.
Förderung: BMBF Förderlinie "Soziale Dimensionen von Klimaschutz und Klimawandel", Schwerpunkt Sozial-ökologische Forschung
Projektlaufzeit: 2010-2013
Projektleitung: PD Dr. Stefan Böschen
Mitarbeiter: Dr. Sophie Elixhauser, Dr. Katrin Vogel
Projekt-Flyer: Klima regional
Projektpartner:
Hochschule München
Projektleitung: Prof. Dr. Cordula Kropp,
Mitarbeiter: Prof. Dr. Susanne Elsen, Irene Brickmann, Jana Türk.
LMU München
Projektleitung: Prof. Dr. Bernhard Gill,
Mitarbeiter: Dr. Mechtild Agreiter, Johannes Schubert.