Risk Governance durch Risikokartierung

Die politische Relevanz der internetbasierten Visualisierung von Risikokonflikten – Modelle risikopolitischer Meinungsbildung und Entscheidungsfindung

© Universität Augsburg

In den letzten Jahren konnte man einen starken Anstieg von nanotechnologischen Anwendungen beobachten. Zwar sind Bürger in ihrem Alltag mit vielen dieser nanotechnologischen Entwicklungen kaum konfrontiert, trotzdem steigt langsam das öffentliche Bewusstsein für die Nanotechnologien und deren potenzielle Risiken. Dies mag auch der Tatsache geschuldet sein, dass bei der Beantwortung der Fragen, was dabei riskant ist und welches (Experten)Wissen relevant ist, die Meinungen und Expertisen mitunter weit auseinander gehen. Werden solche Unterschiede sichtbar gemacht, kann dies zur Lösung von Konflikten beitragen.

Dazu hat das Wissenschaftszentrum Umwelt der Universität Augsburg, gemeinsam mit der Münchner Projektgruppe für Sozialforschung und in Kooperation mit SoUCon, der Software und Consulting GmbH, Karlsruhe, in einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Vorläuferprojekt ein webbasiertes Instrument entwickelt, die so genannte „Risikokartierung“ (http://www.risk-cartography.org). Die „Risikokartierung“ dient dazu, kontroverse Debatten übersichtlich und strukturiert zu visualisieren, so dass eine differenzierte Auseinandersetzung über die Risiken von Nanomaterialien möglich wird.

Mit dem forschungsleitenden Stichwort der „systemischen Risiken“ wird vor allem auf die Dynamik und Wandlungsfähigkeit dieser Risiken aufmerksam gemacht, die einen veränderten institutionellen Umgang mit Risiken erforderlich machen. Mit der „Risikokartierung“ wurde damit eine neue Form des gesellschaftlichen Umgangs mit systemischen Risiken durch eine Kartierung von Risikodiskursen ermöglicht. [Flyer Risikokonflikte]

Im aktuellen Anschlussprojekt wird seit 2009 das Tool der Risikokartierung dahingehend erweitert, dass damit auch die direkte Kommunikation zwischen verschiedensten Akteuren, die sich an den Risikodiskursen beteiligen, unterstützt werden kann. In der weiterentwickelten Version kann sie nun auch zur Strukturierung von Diskussionen auf Workshops verwendet werden. Diese Weiterentwicklung zielt hauptsächlich darauf ab, gesellschaftliche Selbstberatung und – abhängig vom Kontext – politische Entscheidungsvorbereitung zu Risikofragen durch das Instrument der Kartierung beteiligungsorientiert und mehrperspektivisch zu gestalten sowie dabei die Vorteile der Visualisierung zu nutzen. Die Sprecher in Risikodiskursen können sich gleichzeitig und/oder zeitverzögert zu verschiedenen Themen äußern, sich in Beziehung zu anderen Teilnehmern/innen und Stoffen bringen und hierfür eigene Aussagen wie Kommentierung von Aussagen anderer vornehmen. Die Kommentierungen werden in einer Infobox für andere lesbar und können als Wissens-, Erfahrungs- oder Gefühlsäußerung gekennzeichnet werden. Die Verbindungen zum Thema, zu Stoffen und zu anderen Akteuren im Diskurs werden in einem Visualisierungsbereich dargestellt.

Dieses Vorgehen wurde in 8 Workshops zu je einem von zwei Themenfeldern mit zunächst jeweils getrennten Gruppen von Experten, Laien und Stakeholdern sowie einem Synopse-Workshop erprobt. In diesem Setting werden die Diskursbeiträge der Akteure selbst einer sozialwissenschaftlichen Diskursanalyse unterzogen.

 

Als Themenfelder stehen die folgenden beiden Risikodiskurse im Zentrum:

 

Nanoskalige Materialien

Die Erforschung und Entwicklung nanoskaliger Materialien sind eines jener Teilgebiete der Nanotechnologie, deren Innovationen und Anwendungen schon großteils Marktreife erlangt haben. Eine Vielzahl von Konsumprodukten wie Textilien, Reinigungsmittel, Kosmetika und Lebensmittel enthält nanoskalige Materialien. Es ist eines der wenigen Felder der Nanotechnologie, die bereits Einzug in die Gesellschaft gefunden haben und deren Anwendungen inzwischen selbstverständlicher Teil des Alltags geworden sind. Gleichzeitig hat sich ein Diskurs um die Risiken dieser neuen Technologien etabliert. Zum einen werden gesundheitliche Risiken diskutiert, denen Menschen ausgesetzt sind, die mit nanoskaligen Partikeln in Kontakt kommen, sei es über Konsumgüter, im Kontext von medizinischen Behandlungen oder im Rahmen des Arbeitsschutzes in der industriellen Produktion. Einen zweiten Komplex von Risikofragen bilden die mit der Produktion, Verwendung und Entsorgung von Nanopartikeln verbundenen Umweltrisiken.

 

Nahrungsergänzungsmittel

Die Risikodebatte um Nahrungsergänzungsmittel wird in Deutschland wesentlich von Regulierungsbehörden, Organisationen des Verbraucherschutzes und Wirtschaftsakteuren geführt. In ihrem Zentrum befinden sich zum einen Befürworter, die von einer Notwendigkeit der Nahrungssupplementierung ausgehen und die Wahlfreiheit der Verbraucher, aber auch die Wahrung der Herstellerinteressen betonen. Dem gegenüber stehen Akteure, die zur vorsorgenden Sicherstellung eines weit reichenden Verbraucherschutzes auf umfassende Regulierungsvorgaben dringen und darüber hinaus die vorsorgende Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln in Bezug auf ihren gesundheitlichen Nutzen insgesamt in Frage stellen.

Das Projekt wird im Förderschwerpunkt Sozial-ökologische Forschung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung von der Münchner Projektgruppe für Sozialforschung e.V. (MPS) und dem Wissenschaftszentrum Umwelt der Universität Augsburg durchgeführt.

Sozial-ökologische Forschung versteht sich als akteurs- und problemorientierter Forschungstyp, in dem Nachhaltigkeitsprobleme an der Schnittstelle zwischen Gesellschaft und Natur bearbeitet werden.

Zugleich kooperieren wir mit dem internationalen Netzwerk "Cartography of Scientific Controversies", einer Initiative von Prof. Bruno Latour (École des Mines, Paris)

 

Projektdauer: 01.05.2009 - 28.02.2011

 

Durchgeführt wird das Projekt am WZU von:

Projektleitung: Dr. Stefan Böschen

Dr. Martina Erlemann
Stefan Hörmann

 

Bei unserem Projektpartner MPS wird das Projekt bearbeitet von:

Projektleitung: Dr. Kerstin Dressel, Dr. Cordula Kropp

Wiebke Pohler
Christian Zottl

Bundesministerium für Bildung und Forschung

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