Betzavta - Mehr als eine Demokratie
Wir freuen uns sehr, dass am 18.11.22 der Betzavta Workshop des Arbeitskreises Curriculum und Didaktik der Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung durch die Förderung der GGS Augsburg zustande kommen konnte. Die Idee des Workshops entstand aus der zunehmend diskutierten Diagnose einer “Krise der Demokratie”, auf die wir insbesondere als Lehrende der Friedens- und Konfliktforschung Bezug nehmen wollten. Die Veranstaltung sprach sowohl Lehrende als auch den wissenschaftlichen Nachwuchs und Interessierte angrenzender Forschungsfelder an, der in der Friedens- und Konfliktforschung engagiert ist.
Wichtig erscheint uns in dieser Debatte, Demokratie nicht nur als Herrschafts- bzw. Staatsform, sondern vielmehr auch als Gesellschafts- und Lebensform zu begreifen, welche sich schließlich in kleinsten Formen des Miteinanders bzw. in der Praxis sozialer und politischer Kooperation ausdrückt. Demokratie beginnt für uns in der Sprache, mit der wir aufeinander zugehen und übereinander reden; sie spiegelt sich in den Formen der Mitbestimmung wider, die Gruppen wählen, um Entscheidungen zu treffen, und ebenso in der Haltung, mit der auf diverse Lebensformen reagiert wird. Was bedeutet es also, wenn Demokratie in Lehrräumen nicht nur herrscht, sondern vielmehr gelebt wird?
Doch was ist „Betzavta - Mehr als eine Demokratie”? Das Aus dem Israelischen stammende Wort “Betzavta” kann auf Deutsch als “Miteinander” übersetzt werden. Das erscheint erstmal irritierend, betrachtet das Konzept Demokratie doch primär als eine Form der Konfliktbearbeitung. Es handelt sich also um also ein “Miteinander im Konflikt”? Was ist darunter zu verstehen? Kurz gesagt kann Betzavta als eine Methode gelten, die die Schwierigkeiten und vielfältigen Möglichkeiten von demokratischen Entscheidungsprozessen praktisch erlebbar macht. Wir alle haben unterschiedliche Assoziationen zu und Erfahrungen mit Demokratie. Der deutsche Zusatz „Mehr als eine Demokratie” deutet bereits an, dass Demokratie weder zeitlich noch räumlich fixiert ist, sondern uns in ganz unterschiedlichen „Spielarten” begegnet. Hier verfolgt das Konzept einen sehr breiten Demokratiebegriff: Demokratie begegnet uns in allen Lebenskontexten, nicht nur in als explizit politisch ausgewiesenen Sphären. Demokratie-Erfahrungen (also das Erleben demokratischen und undemokratischen Verhaltens) ziehen sich durch alle unsere Alltagskontexte. Unser eigenes Verhalten und unsere Vorstellungen von der Welt sind geprägt und prägend für die Demokratie, die bei uns „gespielt” wird. Diese wird ständig neu ausgehandelt. Deshalb müssen uns stets bewusst sein, dass wir verschiedene Vorstellungen von Demokratie haben, die (abhängig von der jeweiligen Machtstruktur) miteinander konkurrieren. Die Reflexion über solche Fragen soll in Betzavta-Methoden angestoßen werden.
Und tatsächlich: Wir Teilnehmende durften, angeleitet von zwei ausgebildeten Betzavta Trainerinnen, von der ersten Übung an reflektieren, was Demokratie heißt - in der Theorie und unserer eigenen Praxis: Diese verlangte, dass wir uns in Kleingruppen auf eine Definition von Demokratie einigen mussten. Dabei wurden wir nicht nur vor die Aufgabe gestellt, diesen normativ aufgeladenen und mehrdeutigen Begriff zu definieren, sondern konnten anschließend sogleich den Prozess der Aushandlung und Entscheidungsfindung in der Gruppe analysieren und auf unsere eigenen Prinzipien hin überprüfen. Diese Form der Reflexion bezüglich der eigenen Positionen zu Fragen der Demokratie zog sich durch den Workshop hindurch und war besonders dadurch so erkenntnisreich, da bisher unhinterfragte Annahmen und Widersprüche in der eigenen Demokratie-Praxis immer deutlicher hervortraten. Dabei wurde besonders die Haltung gestärkt, Dilemmata, Widersprüche und Konflikte auszuhalten - denn erst dadurch wird unsere Demokratie lebendig.
Für die Lehre der Friedens- und Konfliktforschung nehmen wir neben der Inspiration, die Betzavta-Methode (angeleitet durch ausgebildete Trainer*innen) auch in der Lehre zu nutzen mit, dass die Lehre generell von der in den Übungen immer angesprochene Erfahrungsebene profitieren würde. Besonders wenn Konzepte wie Macht, Hierarchie, Positionalität in der Lehre aufgegriffen werden kann Betzavta eine Methodik sein, die diese erleb- und reflektierbar macht. Die ermöglicht einen tiefgreifenderen und idealerweise die theoretische Auseinandersetzung ergänzenden Zugriff auf diese (besonders für die Friedens- und Konfliktforschung zentralen) Konzepte.