Governance Geistigen Eigentums
Homogenisierung oder Heterogenisierung der Aneignungsformen in wissensbasierten Ökonomien?
Transformationsprozesse hin zu einer wissensbasierten Ökonomie manifestieren sich in einem konfliktreichen und vielschichtigen Innovationsdiskurs. Implizit behauptet jedoch das gegenwärtig vorherrschende Verständnis von Innovationsförderung einen linearen und für alle Hochlohnländer gültigen Zusammenhang von Forschungsdynamik, Hochtechnologieentwicklung, Patentierung und wirtschaftlicher Prosperität. Diese Sicht der Dinge erzeugt Einfachheit und hat sich wohl auch deshalb in der Innovationspolitik so leicht durchsetzen können. Innovationspolitik wird entsprechend vielfach ‚patentzentriert’ gestaltet. Jedoch sind Innovationsprozesse in sich komplexer und vielschichtiger, weshalb eine solche – einseitig ausgelegte – Aneignungspolitik zu Verzerrungen führen muss. So dürften die Eigenheiten unterschiedlicher Industrien und technologischer Entwicklungen bedeutsam dafür sein, wie das Aneignungsrecht innovationsförderlich gestaltet werden kann.
Entsprechend gehen wir davon aus, dass in einer verengten Sicht von Aneignung die Variabilität des Innovationsgeschehens unterbewertet wird. Die Wissenskulturen, die einen Innovationsbereich bestimmen, prägen jedoch wesentlich das Innovationsgeschehen. Basieren sie mehr auf Erfahrungswissen (Handwerk) oder stärker auf formalisierbarem Wissen (Wissenschaft)? Häufig werden Innovationsprozesse unterschätzt, die stärker von Erfahrungswissen und von kumulativ vernetzten Ideen geprägt sind, die sich im Unterschied zu formalisierbarem und klar abgrenzbarem Wissen nur schwer und konfliktreich über Patente aneignen lassen.
Vor diesem Hintergrund wird der Frage nachgegangen, wie sich das Zusammenspiel von Wissenskulturen, Innovationsformen und Aneignungsstrategien in ausgesuchten Innovationsprojekten gestaltet und ob und wie sich diese zu „Wahlverwandtschaften“ gruppieren: In welcher Weise legen bestimmte Ordnungen von Wissenskulturen unterschiedliche Innovationsformen nahe? Inwieweit suchen umgekehrt bestimmte Industrien und bestimmte Innovationsformen geeignete Wissenskulturen auf und fördern sie? Welche Aneignungsstrategien werden von bestimmten Industrien für bestimmte Innovationsformen gewählt – oder, falls im jeweiligen Rahmen nicht verfügbar, politisch oder durch Standortwahl angesteuert? Welche institutionellen Rahmenbedingungen Geistigen Eigentums stimulieren umgekehrt bestimmte Innovationsformen und Industrien?
Zur Beantwortung dieser Fragen sollen anhand zweier kontrastierender Fallstudienfelder Formen und Wirkungsweisen von Aneignungsstrategien Geistigen Eigentums vor dem Horizont spezifischer Gefüge von Wissenskulturen einerseits und Organisationsmustern von Innovationen andererseits untersucht werden. Als Fallstudienfelder sollen zum einen die „Pflanzenzüchtung und Agrarbiotechnologie“ und zum anderen der „Maschinenbau“ in den Blick genommen werden. Dies begründet sich in der Erwartung, dass das erste Feld stärker von diskreten Innovationen mit einer Forderung nach starken Schutzrechten (Patenten) geprägt ist, wohingegen das zweite eher von kumulativen Innovationen bestimmt wird, bei denen durch die Abhängigkeit von spezifischem Humankapital andere Appropriationsstrategien erfolgversprechender sind. Dabei soll insbesondere berücksichtigt werden, dass es neben Geheimhaltung, Patenten und Copyrights viele implizite Mittel privatwirtschaftlicher Aneignung von Wissen gibt, sodass eine Debatte allein um Patente zu verzerrten Wahrnehmungen führen muss.
Neben den Feldern sollen als Randbedingung auch spezifische (national-)staatliche Randbedingungen variiert werden. Dazu wird im Schwerpunkt die deutsche Situation erforscht, zugleich aber ein Vergleich mit der Situation in den USA (Vorreiter eines liberalen, auf starken Eigentumsansprüchen basierenden Systems) und Skandinavien (Finnland, Schweden) angestrebt. Zur Strukturierung der Fallstudien und zur Analyse der theoretischen Fragestellungen entwickeln wir ein heuristisches Modell, das den Zusammenhang von Wissenskulturen, Innovationsprozessen und Appropriationsstrategien beschreibt. Dieses Modell soll dann bei der Erarbeitung zweier Fallstudien zur weltweiten wirtschaftlichen Dynamik wichtiger Industriesektoren – der Pflanzenzüchtung und des Maschinenbaus – auf Sensitivität und Stimmigkeit hin erprobt werden.
Zusammengenommen richten sich die Debatten zur Governance Geistigen Eigentums vor allem auf die Frage, wie man eine optimale Balance zwischen Anreiz- und Blockadewirkung von Patenten und Copyrights herstellen kann. Gegenüber der Idee eines „one best way“ in der Förderung von Innovationen wollen wir aufzeigen, dass es verschiedene Formen von Innovationen gibt, die unterschiedliche Funktionen in der Technologieentwicklung einnehmen und für die unterschiedliche institutionelle Kontexte förderlich sein können.
Dieses Projekt ist ein Gemeinschaftsprojekt des Instituts für Soziologie der LMU München und des WZU der Universität Augsburg.
[ Projektflyer]
Durchführende Stellen:
WZU der Universität Augsburg und Institut für Soziologie der LMU München
Projektteam:
Augsburg: Dr. Stefan Böschen (PL), Philipp Spranger, M. A.
München: Prof. Dr. Bernhard Gill (PL), Dipl.-Soz. Barbara Brandl
Förderung:
BMBF, Förderinitiative „Neue Governance der Wissenschaft“
Laufzeit:
01.07.2009 bis 30.06.2012 (Regellaufzeit)
Kontakt:
Stefan Böschen: Tel.: 0821/598-3569;
Mail:
stefan.boeschen@phil.uni-augsburg.de
Philipp Spranger: philipp.spranger@wzu.uni-augsburg.de
Bernhard Gill: Tel.: 089/2180-3222; Mail: bernhard.gill@lmu.de
Barbara Brandl: barbara.brandl@soziologie.uni-muenchen.de