Augsburger Rechtsgespräche: KI bei der Strafzumessung
Im vierten und letzten Termin der Augsburger Rechtsgespräche zum Thema „KI als juristisches Arbeitsmittel“ referierte Prof. Dr. Johannes Kaspar zum Einsatz von künstlicher Intelligenz bei der Strafzumessung. Dazu beleuchtete er zunächst gegenwärtige Probleme und Schwachstellen bei der Strafzumessung, um dann mit Blick hierauf das Potential von KI-Anwendungen zu vermessen. Hierbei handele es sich jedenfalls in Teilen allerdings um eine Art „Schattenboxen“, weil deren zukünftige Funktionsweisen noch nicht detailliert abgeschätzt werden könnten. Einige Linien lassen sich aber dessen unbeschadet ziehen und auch die Vor- und Nachteile von KI-Anwendungen sind schon Gegenstand intensiver wissenschaftlicher Auseinandersetzung. Eine Ersetzung der richterlichen Entscheidung bei der Strafzumessung klammerte Prof. Kaspar für seinen Vortrag aus (derzeit für die Anwendung in D unrealistisch). Der Referent stellte zunächst heraus, dass die normativen Maßstäbe der Strafzumessung (oftmals weiter Strafrahmen; vage gesetzliche Regelungen zum Strafzumessungsvorgang) so grobmaschig sind, dass sie mit Blick auf Bestimmtheit und Gleichheit staatlichen Strafens zumindest Fragen aufwerfen. Bisweilen werde sogar von Strafzumessung als „Kunstform“ gesprochen. In leichtem Kontrast zum gerade auch vom BGH stets betonten sehr individuellen Charakter der Strafzumessung ließen sich in der Praxis bei nüchterner Betrachtung durchaus schematische Vorgehensweisen beobachten (Präganzpräferenz, lokale Strafzumessungstraditionen). Bei den unvermeidlich vorzunehmenden Wertungen können daneben empirisch seit Jahren bundesweit deutliche Unterschiede bei der Bestrafung „vergleichbarer Delikte“ nachgezeichnet werden. KI könnte hier zur Erweiterung des richterlichen Horizonts Entscheidungskorridore aufzeigen oder Strafzumessungsvorschläge unterbreiten. Solche „Decision-Support-Systems“ werden bspw. bereits in China eingesetzt (sog. Shanghai AI Assistive System on Criminal Cases). Kaspar betonte allerdings, dass es über die genaue Funktionsweise des Systems kaum unabhängige Informationen gäbe. In den USA wird mit COMPAS ein System zur Vermessung eines Teilbereichs der Strafzumessung – die Einschätzung zur Rückfallgefahr – eingesetzt. Mit Blick auf potentielle auch in Deutschland einsetzbare Systeme führte Kaspar dem Auditorium Potentiale (Effizienz, gleichmäßigere Strafzumessungspraxis, mehr Bestimmtheit und Vorhersehbarkeit) und Einwände (individuelle Schuldangemessenheit ist „schemafeindlich“; Automation Bias; Zurückdrängung menschlicher Richtereigenschaften; Fairness; Transparenz; Akzeptanz bei der Bevölkerung) vor Augen. Übergreifend besteht eine erhebliche Schwierigkeit darin, die Qualität der Trainingsdaten und deren adäquate Bewertung durch die KI sicherzustellen. Zum einen gibt es bisher keine bundesweite Strafzumessungsdatenbank (anders: bspw. Japan). Zum anderen fehlen bei normativ geprägten Wertentscheidungen objektive Maßstäbe mit der Möglichkeit der Falsifikation. Nähme man schlicht die bisherige Strafzumessungspraxis zum Maßstab, müsste man eine „komparative Strafzumessung“ grundsätzlich als Konzept akzeptieren, was nach Kaspars Auffassung voraussetzungsreich, aber durchaus vertretbar sei. Davon unabhängig sollte auch genau erhoben werden, in welchem Maße in der Rechtspraxis überhaupt Bedarf für ein KI-System im Rahmen der Strafzumessung besteht.
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