Priv. Doz. Dr. Stefan Schmidt, Klassische Archäologie, Universität Augsburg.

Gefördert von Mai 2001 bis April 2002 durch die Fritz-Thyssen-Stiftung.

 

Was interessierte die Bewohner einer römischen Provinzstadt an den Bronzestatuetten von Göttern und Genien, die sie vor allem in ihren Häusern verwendeten? Diese Frage stand im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Erschließung der Statuettenbestände im Römischen Museum Augsburg. Es galt, alle erreichbaren Informationen auszuwerten, um zwischen der vorrangigen Funktion der Figuren als religiöse Votive und ihrer Bewertung als Kunstwerke bzw. als Wiedergaben berühmter Kunstwerke zu differenzieren.

 

Die topographische Verteilung der Neu- und Altfunde aus dem Gebiet des römischen Augsburg ließ zunächst zwei Schwerpunkte erkennen. Zum einen stammten die Statuetten, wie zu erwarten war, aus Einzelbefunden in Wohngebieten. Dabei konnte im suburbanen Bereich ein nördlich der Alpen sehr seltenes Beispiel für die architektonisch Ausstattung eines Larariums rekonstruiert werden. Zum anderen fand sich eine große Zahl von Bronzen in einem Komplex, dessen Zusammensetzung aus vielen verschiedenartigen Stücken und Fehlgüssen sowie dessen charakteristische Lage direkt an der Mauer und in der Nähe des Nordtores der römischen Stadt auf einen Werkstattbereich von Bronzegießern schließen lässt.

 

Die Produktion dieser lokalen Werkstätten ist bislang noch nicht so eindeutig zu charakterisieren, dass stilistische Zuweisungen möglich wären. Doch sprechen alle Indizien für eine hohe Qualität der in Augsburg hergestellten Statuetten. Sie sind deutlich qualitätvoller als die Figuren einer Werkstatt aus dem näheren Umfeld der Provinz Raetien. Aus deren umfangreicher Produktion ist lediglich eine einzige Merkur-Statuette im Fundmaterial der Provinzhauptstadt vertreten. Vereinzelt bleibt auch eine Harpokrates-Bronze, die in einer norischen Werkstatt hergestellt wurde.

 

Die qualitätvolle, mit Silbereinlagen versehene Statuette einer sandalenlösenden Venus ist ein Zeugniss für das Interesse an ungewöhnlichen Kunstwerken in der römischen Provinzhauptstadt Augsburg (© K. Ruff, Augsburg) © Universität Augsburg
In der kaiserzeitlichen Bronzestatuette des Hermes aus Augsburg wurden künstlerische Vorbilder des 5. und des 4. Jahrhunderts v. Chr. miteinander verschmolzen (© K. Ruff, Augsburg) © Universität Augsburg

Die Analyse der Werkstattzusammenhänge der insgesamt ca. 50 Statuetten ergab, dass die Figuren aus den regionalen Produktionsstätten im römischen Augsburg auf weniger Interesse gestoßen sind, als in anderen Orten der Provinz Raetien. Die oft stark stilisierten Götterdarstellungen mit überdimensionierten Attributen entsprachen offenbar den dort verbreiteten Wünschen nach göttlichem Schutz und Wirksamkeit. In Augsburg selbst finden sich dagegen häufiger klassizistisch gestaltete und ausgestattete Figuren. Ob diese qualitätvollen Exemplare von Fall zu Fall Importe aus Italien waren, oder aber in den besten örtlichen Werkstätten entstanden sind, bedarf weiterer Untersuchungen.

Das hohe ästhetische Reflexionsniveau und einen exquisiten Geschmack der einstigen Eigentümer belegt die typologische und stilistische Untersuchung der herausragenden Stücke. So gehört die Statuette einer sandalenlösenden Venus einem ausgesprochen seltenen Typus an. Nach dem Ausweis der Befunde aus anderen römischen Städten wurden solche genrehaften Darstellungen der Göttin nie für die Ausstattung von häuslichen Heiligtümern verwendet. Auch in Augsburg handelte es sich also um ein künstlerisches Schaustück, das einen gehobenen Haushalt aufwerten sollte. Eine vor wenigen Jahren gefundene Hermes-Statuette zeigt zudem die gelehrte Kombination unterschiedlicher künstlerischer Vorbilder. Während der Kopf einem häufig für solche Statuetten verwendeten polykletischen Typus entspricht, folgt der Körper ausnahmsweise dem sogenannten „Typus Richelieu", einer berühmten Hermes-Statue des 4. Jahrhunderts v. Chr. Zusammenfügungen dieser Art waren kein handwerklicher Zufall, sondern dienten der Steigerung des ästhetischen Wertes der Statuetten. Im Ergebnis lässt das Spektrum der Augsburger Funde eine anspruchsvolle und gebildete Rezipientenschicht für die Formen klassischer Kunst in der römischen Provinzhauptstadt erkennen.

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