Laufende Forschungen zur Frühen Neuzeit

Workshop im Rahmen der Kooperation zwischen Augsburg, Bonn und Osnabrück

Laufende Forschungen zur Frühen Neuzeit
M. Lewerentz

 

 

Seit 2019 treffen sich Doktorand.innen und Postdoktorand.innen des Instituts für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit (Osnabrück), des Zentrums für Historische Friedensforschung (Bonn) und des Instituts für Europäische Kulturgeschichte (Augsburg) zu einer Workshopreihe „Laufende Forschungen zur Frühen Neuzeit“. Ziel ist es, die Vernetzung der seit 2020 auch vertraglich vereinbarten Kooperation der drei Forschungseinrichtungen voranzubringen und sich über die jeweils vor Ort laufenden Forschungsprojekte zur Epoche der Frühen Neuzeit auf dem Laufenden zu halten.

Am 28. Juni 2024 fand das Treffen erstmals (nach einer Online-Veranstaltung 2021) in Präsenz in Augsburg statt. Den Auftakt bildete ein gemeinsames Abendessen und Kennenlernen am 27. Juni. Der eigentliche Workshop startete am Morgen des 28. Juni. Ulrich Niggemann, Michael Rohrschneider und Siegrid Westphal betonten eingangs noch einmal, wie wichtig dieser Austausch sowohl auf der Ebene der Leitenden der Einrichtungen wie auch auf der Ebene der Nachwuchswissenschaftler.innen sei. Die guten Erfahrungen der letzten Jahre bekräftigten dies nachdrücklich.

Mit einem Beitrag zur „Kategorie Geschlecht als mehrfach relationale Kategorie in Gerichtsprozessen der Grafschaft bzw. des Fürstentums Ostfriesland (1643-1744)“ eröffnete Hjördis Bohse (Osnabrück) die inhaltliche Arbeit. Geschlecht, so Bohse, sei in einer Reihe spezifischer Prozessgegenstände eine zentrale Kategorie, so etwa in Scheidungsfällen, aber auch bei Sexual- und Sittendelikten. Dabei seien sowohl weltliche als auch kirchliche Gerichte mit entsprechenden Verfahren befasst gewesen, die zugleich als gesellschaftliche Aushandlungsprozesse gelten können. Geschlecht sei jedoch nicht die einzige Kategorie, sondern müsse mit anderen Kategorien in ein Verhältnis gesetzt werden.

Eva Rothenberger (Augsburg) befasste sich im Anschluss mit Veränderungen in der Tanzkultur seit der Renaissance. In Ihrem Beitrag „Bewegung aufschreiben, um Bewegung zu erinnern – Reflexionen über das Verschriftlichen von Tanz“ wies sie auf die Problematik der schriftlichen Fixierung von Bewegungsabläufen hin, die im Laufe der Frühen Neuzeit in immer ausgefeilteren Notationen entwickelt wurde. Die Notwendigkeit dafür entstand vor allem aus der Etablierung des Bühnentanzes, der von Italien ausgehend seit dem 16. Jahrhundert in Europa Verbreitung fand und Handlung und Tanz in eine Einheit bringen sollte. Dafür bedurfte es Notationstechniken, um dieselben Tanzabläufe wiederkehrend zu reproduzieren, eine Technik, die seit dem 17. Jahrhundert v.a. in Frankreich weiterentwickelt wurde, so dass in der Folge das Französische zur Sprache des Tanzes geworden sei.

Mit krimineller Transgression und Raumwahrnehmungen beschäftige sich der Vortrag von Abby Gibbons (Tucson/Augsburg) mit dem Titel „Understanding Space Formation through Criminal Transgressions in Early Modern Germany“. In ihrer Arbeit, die sich insbesondere mit den Städten Augsburg und Nördlingen sowie der Grafschaft Oettingen befasst, werden Zeugenaussagen und Gerichtsprotokolle im Hinblick auf Raumordnungen und Raumauffassungen hin untersucht. Raum werde v.a. durch Normen und Praktiken konstituiert und konnte als geschlossener wie auch offener Raum gedacht werden. Nicht selten werde der Raum, den Zeugen beschrieben, vom Gehör her bestimmt – was wurde innerhalb eines bestimmten Raums an Geräusch wahrgenommen?

Im Anschluss stellte Marion Romberg (Bonn) die prosopographische Datenbank „VieCPro“ vor, die auf der Basis umfassender Vorarbeiten früherer Projekte ein im Entstehen begriffener Fundus der am Wiener Hof seit Kaiser Leopold I. tätigen Personen darstellt. Insgesamt soll die Datenbank Zugriff auf 23.600 Personendatensätze, einschließlich Haushalte und Orte bereitstellen. Mithilfe prosopographischer Datensätze lassen sich Stellung, familiäre Verhältnisse, Beziehungen zu anderen Personen am Hof und vieles mehr erschließen, so dass hier eine umfassende Grundlage für weitere Forschung entsteht.

„Landständische Verfassung und Politik im Kurfürstentum Köln“ lautete der Titel des Vortrags von David Schulte (Bonn), der das Kurfürstentum als „composite state“ bestehend aus dem Erzstift Köln, dem Herzogtum Westfalen und der Vest Recklinghausen charakterisierte und anhand der Erblandesvereinigungen von 1463, 1550 und 1590 die Rolle und Funktion der Landstände thematisierte. Asymmetrische Macht- und Herrschaftsbeziehungen, Partizipation und empowering interactions bildeten das Raster anhand derer das komplexe Beziehungsgeflecht auch aus einer bottom-up-Perspektive beleuchtet wurden.

Esra Grun (Osnabrück) untersuchte schließlich mit ihrem Vortrag „Der teuerste Hut der Weltgeschichte – Korruption und Korruptionskritik im Rahmen der Verleihung der Kurwürde an Braunschweig-Lüneburg (1692-1708)“ die reichspolitischen Vorgänge im Kontext der Kurerhebung Hannovers. Im Mittelpunkt standen dabei Praktiken der Beeinflussung von Reichstagsmitgliedern durch Geschenke und Bestechung. Dabei ging es um die Grenzen des Akzeptablen, also zwischen gängigen und allgemein akzeptierten Praktiken und Grenzüberschreitungen bzw. Normverletzungen, um die Möglichkeiten der konkreten Einflussnahme und ihre Zurückweisung.

Nach dem Vortragsteil mit intensiven Diskussionen in der Bibliothek des Instituts für Europäische Kulturgeschichte verlagerte sich der Workshop in die Stadt, wo das Welterbe-Büro der Stadt Augsburg eine Führung zu den UNESCO-Stätten und dem historischen Wassermanagement der Stadt Augsburg anbot und damit das Programm abrundete. Auch dieses Jahr hat sich wieder gezeigt, wie fruchtbar der Austausch zwischen den drei kooperierenden Instituten ist. Er wird im Jahr 2025 in Osnabrück fortgesetzt.

(U. Niggemann)

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