Die Schatzkammer der Wissenschaft

Von der 1300 Jahre alten Handschrift bis zur virtuellen Lernumgebung, vom Lehrbuch bis zur literarischen Apotheke: Hinter den Mauern der Zentralbibliothek und ihren fünf Teilbibliotheken findet sich alles, was Studierende, Lehrende und Forschende brauchen. Und Außergewöhnliches noch dazu. Eine Entdeckungsreise.


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Eigentlich ist es ärgerlich. Constance Dittrich, seit 2022 Leiterin der Augsburger Universitätsbibliothek, findet den Lesestoff, den sie in ihrer Zeit an der Universität Leipzig mit Leidenschaft entzifferte, nicht in ihren Regalen. Die vielsprachige Philologin ist nämlich – neben Griechisch und Latein – auf Keilschrifttexte des 3. und 2. Jahrtausend v. Chr. spezialisiert. „Und Tontafeln aus Lehm machen sich einfach nicht so richtig gut in Bücherregalen“, meint Dittrich mit ernstem Gesicht. Bis sie beginnt, zu lachen. Freude an Büchern – die merkt man der Bibliotheksdirektorin auf dem Augsburger Campus als erstes an, wenn man ihr Büro im ersten Stock des weitläufigen Bücherhauses betritt. Davon hat sie wahrlich genug. 2.175.285 sogenannte „Physische Medien“, wie es heutzutage exakt heißen muss, stellt sie mit ihrem Team für Forschung und Lehre bereit. Aber auch für jede Bürgerin und jeden Bürger aus Stadt und Landkreis Augsburg. „Denn unsere Universitätsbibliothek ist für jedermann offen – ob Studentin oder Rentner!“, betont Dittrich. Zum Lesen bleibt den 102 Bibliotheksbeschäftigten allerdings wenig Zeit, denn das Schatzhaus der Bücher muss sich weiterentwickeln für die Zukunft. Und so verändern sich Bestand, Gebäude und Arbeitsalltag in rasantem Tempo und mit einer Vielzahl von Projekten.

 

Die Augsburger Universitätsbibliothek verfügt über bedeutende Schätze – wie bis zu 1.300 Jahre alte Handschriften und kostbare Folianten. Spezialisten kümmern sich in den Werkstätten um konservatorische Maßnahmen, damit sie als Quellen weiter von der Wissenschaft genutzt werden können. © Thomas Stoll/Universität Augsburg

 

Besucher wie Neuschwanstein

 

Der Reihe nach. Lassen wir erst einmal die Zahlen auf den Besucher wirken: Mehr als zwei Millionen Bücher und andere Medien, 4.709 Stunden Öffnungszeit pro Jahr, 2.141 Arbeitsplätze, fast eine Million Zugriffe auf digitale Medien. Und, nicht zu vergessen: 1,3 Millionen Besucher pro Jahr. Damit macht die Augsburger Universitätsbibliothek fast König Ludwigs Märchenschloss Neuschwanstein Konkurrenz – dort zählt man pro Jahr etwa 1,5 Millionen Besucher.

„Wir sind ein lebendiges Haus mit insgesamt fünf Teilbibliotheken“, erklärt die Bibliotheksdirektorin. „Das bringt natürlich viele Nutzer und Besucher mit sich.“ Ein bisschen Stolz schwingt dabei in ihrer Stimme mit. Die Zahlen zeigen: Stolz darf Augsburg sein auf die Schatzkammer der Wissenschaft. Denn obwohl die Universität eine der jungen Hochschulen im Lande ist, haben geschickte Zukäufe, Zustiftungen und Spenden ihren Bücherbestand enorm bereichert. An erster Stelle ist dabei zu nennen eine Zuweisung des bayerischen Staates für den Ankauf der Oettingen-Wallersteinschen Bibliothek im Jahre 1980. 40 Millionen DM ließ sich damals der Freistaat den Erwerb dieses einzigartigen bibliophilen Schatzes kosten. Der wird seither in der Universitätsbibliothek Augsburg gehegt, gepflegt, erforscht – und immer wieder der Öffentlichkeit in Ausstellungen zugänglich gemacht. Eines wird dem Besucher klar, wenn er in die Liste der Aktivitäten des Hauses blickt: Dies hier ist keine Verwahranstalt, in der Folianten verstauben. Sondern ein lebendiger Ort des Austausches. Ein Ort der Forschung, der Lehre und der Kommunikation für alle Bürger.

 

Treffpunkt für alle Wissensdurstigen

 

„Wissenschaft ist Kommunikation“, sagt die Chefin. „Diese Kommunikation möglich zu machen und zu fördern, ist eine unserer großen Aufgaben.“ Das hört sich in der Theorie erst mal ganz gut an. Doch wie kriegt man das in der Praxis hin? „Vor allem, indem man Barrieren bei der Suche nach Medien und ihrer Benutzung beiseite räumt!“. Dittrich nennt in rascher Folge eine ganze Palette von Maßnahmen: die Digitalisierung der historischen Bestände und Lizenzierung moderner elektronischer Ressourcen, um fangreiche Schulungs- und Beratungsangebote für Schulklassen und Studierende, unkomplizierte Bestellvorgänge, ausgedehnte Öffnungszeiten auch am Wochenende, einen Selbstverbuchungs-Service und noch so manche Maßnahme mehr. „Damit machen wir unser Haus zu einem offenen Treffpunkt für alle Menschen – Lehrende und Lernende, Interessierte und Forschende, Menschen, die ihren Wissensdurst stillen wollen: Alle sind herzlich willkommen.“

Offenheit zeigt sich auch schon in der Architektur der neuesten Bibliotheksbauten – wie der neuen Teilbibliothek Medizin. Die erstreckt sich am Medizin-Campus auf 1.067 Quadratmeter Fläche und zwei Etagen und bietet 222 Sitz- und Arbeitsplätze für jeden Geschmack. Der neue Lernort für Mediziner bietet Leseecken und Lernkojen und für bibliophile Naturfreunde sogar einen Lesegarten auf dem Dach. Mittlerweile haben sich in den Räumen zwei dauerhafte Bewohner eingenistet: Bibi und Bob, zwei sogenannte „Anschauungs-Skelette“, die zum Inventar gehören und den Studierenden beim Pauken der 206 Knochen, die ein Erwachsener aufweist, geduldig unterstützen. Die beiden sind mittlerweile zu Bibliotheks-Maskottchen avanciert. Der Besuch bei ihnen darf bei keinem Bibliotheks- Rundgang fehlen.

 

Der Erweiterungsbau mit neuem Tresor

 

Zurück zur Bücher-Burg auf dem Campus. Ganz ehrlich – ein bisschen trutzig sieht die Zentrale der Bibliothek ja nun doch aus. Das scheint aber dem Zeitgeist ihrer Errichtung geschuldet – in den Achtzigern des letzten Jahrhunderts war der aufgelockerte Fassadenstil mit Beton-Ecken und -Vorsprüngen bei den Architekten beliebt. „Das finden wir aber heute noch angenehmer als glatte Plattenbaufassaden“, beschreibt Constance Dittrich den Gebäudeentwurf. „Auch wenn da durch die anstehende energetische Ertüchtigung wohl etwas aufwändiger werden wird!“ Zurzeit legen Handwerker letzte Hand an den Erweiterungsbau, der im Norden des bisherigen Gebäudes entsteht. Eine Brücke verbindet ab diesem Sommer die beiden Häuser. Und dann kann der Umzug der Schätze des Hauses in den neuen Tresor beginnen. Der bietet den kostbaren Stücken ein ideales Raumklima, gleichmäßige Feuchtigkeit und Temperatur im Sommer wie im Winter, keine Ausschläge der Werte nach oben und unten und einen gefilterten Luftaustausch. Dazu natürlich Sicherheitstüren, gepanzerte Wände und Überwachungstechnik, die mit Experten des Landeskriminalamtes abgestimmt wurden.

 

Die Hüterin der Schätze

 

Schätze besitzt die Universitätsbibliothek eine ganze Menge: Sei es ihre älteste Handschrift, ein Lukas Evangeliar aus Echternach aus dem Jahr 705, sei es die kostbare Pamplona-Bibel aus dem Jahre 1200, die im Auftrag des Königs von Navarra geschaffen wurde, sei es die zweibändige Bibel des Regensburger Buchmalers Berthold Furtmeyer, ein Spitzenstück der Buchmalerei aus dem 15. Jahrhundert – der Reichtum, der die Schatzkammer auf dem Campus ziert, lässt Kunst kenner, Forscher und Buchliebhaber immer wieder staunen. In der Kommunikation ihrer Schätze zeigt sich die Universitätsbibliothek freizügig. Immer wieder bietet sie öffentliche Einblicke in spezielle Sammlungen, wie zuletzt bei der „Nacht der Bibliotheken“, präsentiert besondere Exemplare aus ihrer Schatzkammer und stellt Ausstellungen zu Einzelthemen auf die Beine: Sei es zum hundertsten Jubiläum des Mann’schen „Zauberberges“ rund um die Sammlung Jonas, sei es eine Fotoausstellung zum menschlichen Eingriff in den Fluss Lech oder Einblicke in Modezeitschriften vor einhundert Jahren. Gerade durch die Bandbreite der universitären Expertise vor Ort können neue Blickwinkel auf die historischen Bestände gegeben werden – in den letzten 2 Jahren durch Kooperationen mit Lehrstühlen der Archäologie, Rechtswissenschaften und Kunst oder dem Wissenschaftszentrum Umwelt. Und sollte es Studierenden angesichts des bevorstehenden Prüfungsstresses übel gehen, hat auch für diesen Fall das Team der Bibliothek vorgesorgt: Es hält einen eigenen Handapparat für Geplagte vor. Er trägt den Titel: „Literarische Apotheke“ und versammelt Bücher zum Entspannen.

 

Ein Herz für Forschende

 

Die Bibliothek: Sie bleibt das Herz der Universität, Ort der Begegnung, an dem man sich trifft, gemeinsam arbeitet und so ständig auf dem Laufenden bleibt. Die Studierenden ändern sich. Immer mehr arbeiten sie kooperativ in Lerngruppen. Im Lesesaal alter Prägung im Silentium funktioniert das nicht. Die Studierenden wollen im Team lernen. „Das ist ihr Anspruch an uns“, berichtet Dittrich. „Wir erfüllen diesen Anspruch, indem wir Räume schaffen, in denen Kleingruppen zusammen kommen können – ohne andere Lernende zu stören. Und

Ein Ort zum Forschen, Lernen, Diskutieren, Treffen: Die Universitätsbibliothek bietet ihren Nutzern vielfältige Orte des kontemplativen Rückzugs genauso wie der befruchtenden Begegnung. Kein Wunder, dass sie von Lehrenden wie Lernenden gerne bis tief in den Abend hinein genutzt wird. © Universität Augsburg

selbstverständlich stellt das Bibliotheks-Team für Forschergruppen eigene Services bereit, um diese beim Recherchieren, Publizieren und Umgang mit Forschungsdaten gezielt zu unterstützen.“ Fazit: Studierende und Forschende von heute müssen eben nicht mehr nur Wissenschaft beherrschen, sondern auch kommunizieren können. Deshalb entwickelt sich die Bibliothek gemeinsam mit ihnen weiter. Der Weg hört nie auf. Vor der Tür steht als nächstes Großprojekt die Migration der Bibliotheksverwaltung auf ein modernes System. Dieses wird erstmals in einem bayernweiten Verbund der Universitäts- und Hochschulbibliotheken auf Ba sis von Open Source Software programmiert – eine Herkulesaufgabe. Gefragt ist auch hier die Fähigkeit zur Kommunikation. Dazu braucht es kooperatives Arbeiten in der Universität genauso wie im überregionalen Bibliotheksverbund. Denn alle diese Projekte wollen vorangetrieben und im Auge behalten werden.

 

Warum das Buch bleiben wird

 

Hat das Buch noch Zukunft? Eine ketzerische Frage an eine Bibliotheksdirektorin, gewiss. Die Herrin der Bücher hat eine klare Antwort. Denn sie kennt auch die jungen Leser-Generationen, weil sie dauernd im Austausch mit ihren Studierenden und Lehrenden steht und zudem Bestandsmanagement unterrichtet. Sie ist sicher: „Bücher werden nie verschwinden!“

Und wie sind ihre Erfahrungen mit KI? Ein herzliches Lachen ist die erste Antwort. Die zweite ist ernster: „Man staunt sowohl in die eine als auch in die andere Richtung, was generative KI alles kann – oder vorgibt zu können. Halluzinierte Ergebnisse sind ein großes Problem …“ So werden durch die künstliche Intelligenz ganze Buchtitel generiert, die es schlicht gar nicht gibt. Alle Angaben scheinen schlüssig, aber sogar die von der KI mitgelieferte ISBN ist halluziniert. Auf den ersten Blick stimmt die Logik. Dann aber nichts mehr.

Was bedeutet das für Studium, Forschung und Wissenschaft? Auch hier spricht Constance Dittrich unmissverständliche Worte. „Angesichts von teilweise erschreckend unkritischem Umgang mit KI, angesichts von Fake News und Propaganda bleibt die Bibliothek das Haus der geprüften Quellen – denn durch unsere Angebote zum Erwerb von Informationskompetenz unterstützen wir unsere Nutzer bei der kritischen Auseinandersetzung mit Inhalten und leisten damit einen Beitrag gegen Fake News, gegen Lüge und Fälschung der Wahrheit!“ Selbstverständlich stehen alle für Lehre und Forschung benötigten Fachbücher bereit, die zum Beispiel Zeithistoriker zur quellenkritischen Arbeit brauchen. „Entscheidend ist nicht, ob mir der Inhalt gefällt oder nicht. Wichtig ist, dass das Werk in unseren universitären Fächerkanon gehört so wie in Studium und Forschung kontextualisiert und in den wissenschaftlichen Diskurs eingebettet wird. Es gibt bei uns keine Zensur. Man muss als Wissenschaftler unterschiedliche Meinungen aushalten!“, sagt die Hausherrin.

 

jb

 

Kontakt

Constance Dittrich M.A.
Direktion, Leitung Bibliothek
Universitätsbibliothek

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